Loud’n Jewcy von Debora Antmann

Es ist nicht allzu lange her, drei, vielleicht vier Jahre, dass ich das erste Mal gehört habe, wie jemand eine andere Person abschätzig als „bougie“ bezeichnet hat. Ich habe einen Moment gebraucht, konnte dann aber die Verbindung zwischen meinem Politikunterricht in der Schule (dem einzigen Mal, dass ich erlebt hätte, wie ernsthaft das Wort „Bourgeoisie“ verwendet wird) und diesem Moment herstellen. Was mich daran wirklich fasziniert hat: die Absurdität darin, wer in dieser Situation meinte, eine andere Person „bougie“ nennen zu können. Hätte ich entscheiden müssen, wer von den beiden eher der Bourgeoisie zuzuordnen ist – Bezeichnerin oder Bezeichnete –, mein Urteil wäre auf jeden Fall anders ausgefallen. Es war für mich damals ein absolutes Phänomen, wie eine Person, die so offensichtlich aus Klassencodes heraus minimalistisch unterwegs war, eine andere Person, die so offensichtlich aus anderen Klassencodes heraus weniger minimalistisch unterwegs war, „bougie“ nennen konnte. Seit diesem denkwürdigen Moment scheint „bougie“ getrended zu haben und was mir damals wie ein individueller Bruch in der Selbstwahrnehmung einer Einzelperson vorkam, scheint ein generelles Problem von Menschen zu sein, die den Begriff „bougie“ benutzen: Sie sind nie, wirklich nie weniger „bougie“ als die Person, die sie abschätzig so kategorisieren – allein schon dieses Wort ist so absurd. In vielen Fällen ist das, was sie als „bougie“ bezeichnen, etwas, das sie unangenehm finden, weil das Klassengefälle genau andersherum ist. Fällt „bougie“-Nutzer*innen gar nicht auf, wie abgehoben und unangenehm dieser Begriff ist und dass er eher eine Eigendiagnose als ein Urteil über eine andere Person ist? Wenn du mir sagst, jemand sei „bougie“, bin ich mir sicher, es ist eine snobistische, herablassende, gut situierte Person im Raum, und ich bin mir noch sicherer, es ist nicht die Person, von der du sprichst. Egal, wie sehr du dir den Style von Klassismusbetroffenen angeeignet hast oder wie simpel dein Leben angeblich ist. In dem Moment, in dem du den Begriff „bougie“ ernsthaft als Urteil über andere in den Mund nimmst, hast du dich selbst sehr eindeutig zugeordnet. Das Gleiche gilt übrigens für Menschen, die das ganz pseudoironisch, aber irgendwie ernst gemeint verwenden. Wenn du glaubst, „bougie“ ist der passende Begriff für Leute, ist es wahrscheinlich eine „Glashaus und Steine“-Situation.

© Rahel Süßkind

Besonders scheint es weißen „bougie“-Sager*innen wichtig zu sein, sich dadurch abzugrenzen, zu zeigen, dass man nicht zur snobistischen Mittelschicht gehört, eine Edgyness unter Beweis zu stellen. Im Grunde ist es der sprachliche Hoody, das „Ich bin arm und mittellos, quasi Getto“ von Mittelschichtsbildungskids, das nur unter ihresgleichen funktioniert, in einem einzigen Wort. Es ist das Protzen mit dem Nicht-Protzen(-Müssen) und sich dabei für die kämpfende, die verzichtende Klasse halten, sich dabei gegenseitig auf die Schultern klopfen, alles während man das Wort „boooouuugiiiiiie“ sagt. Es ist Selbstoffenbarung, Selbstbeweihräucherung und Realitätsleugnung in zwei Silben. Eigentlich sollte man dankbar sein für Leute, die das Wort „bougie“ benutzen, man weiß direkt, woran man ist: Eis essen mit ausgewachsenen, selbst verleugnenden Bildungskiddis.

 

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.