Interview: Ulla Heinrich

Marlene, du nutzt eine der Stärken des Theaters und bringst für das Musical alle Gewerke zusammen. Wolltest du so etwas schon immer einmal machen?
Das Theater hat mit seinen Gewerken (Bühnenbild, Kostüm usw.) die richtigen Ressourcen für Musiker*innen, die immer selbstverständlicher interdisziplinär arbeiten. So können deren Visionen umgesetzt werden. Solche Projekte sind in der freien Musikszene schwerer realisierbar.Ein Fokus meines Musikprogramms ist daher an der Schnittstelle von Musik zu anderen darstellenden Künsten. Das Musical ist, wenn man so will, eine starke Vertiefung in

diesen Ansatz. Ich bin Fan von Übertreibungen. Insofern ist ein Musical, das alle Aspekte zum Äußersten treibt, in dem Pathos ganz selbstverständlicher Teil des Ganzen ist, ein Traum.

Du betreust das Musical als Künstlerische Leitung, betonst aber, dass ihr das Werk im Kollektiv erarbeitet. Warum ist das wichtig?
Wir erarbeiten das Stück gemeinsam neu und die Autor*innenschaft liegt bei so einem Prozess bei ganz vielen Leuten. Autor*innenschaft, die mich interessiert, folgt weniger einer hierarchischen Logik, in der eine Person mit Vision im Zentrum steht, sondern einer kollektiven Praxis. Diese muss aber auch erst erarbeitet werden. Einige Leute im Projekt wie Kurdwin Ayub, Lydia Haider, Dalia Hassan, Eva Jantschitsch, Esther Räsänen, Marianne Vlaschits und ich haben schon viel miteinander gearbeitet – dadurch fällt es uns leichter, auch ein ästhetisch kohärentes Ziel zu entwickeln, das nicht homogen daherkommt. So viel kann ich sagen: Das Matriarchat kommt mit gutem Style.

 Was ist ein totales Musical?
Der Titel verrät schon viel über den Grundton. Unsere Produktion hat alle klassischen Elemente eines Musicals und bringt Tanz, Musik, Schauspiel und Gesang zusammen. Den zum Teil reaktionären und traditionellen Charakter des Musicals überwinden wir natürlich, indem wir ein konsequent queerfeministisches Musical auf die Bühne bringen. Wir nehmen das Genre formal einerseits ernst und andererseits auch überhaupt nicht. Wir wollen mit diesem Heldinnenepos einen neuen Klassiker erschaffen, der hoffentlich auch in fünfhundert Jahren noch in jedem Dorftheater neu interpretiert und gespielt wird. Die einen wollen zum Theatertreffen, wir wollen zum MTV Music Award.

Missy Magazine 05/22, Rolle vorwärts, Den Spieß umdrehen
© Courtesy of Hyäne Fischer

 Hyäne Fischer ist ein bereits bestehendes Projekt, eine Kunstfigur aus dem Umfeld der feministischen Burschenschaft Hysteria zwischen Pop, Feminismus und Politik.
Hyäne Fischer ist ein Popstar, im klassischen Verständnis von Popmusik, wo die Protagonist*innen immer an der Schnittstelle von Realität und Fiktion agieren. Musik wird heute, auch in der Subkulturszene, immer interdisziplinärer, dafür ist Hyäne Fischer ein gutes Beispiel. Im Musical ist Hyäne Fischer der Ausgangspunkt einer Geschichte, in der es auch um andere Heldinnen gehen wird. Das Heldinnenepos interessiert uns deshalb, weil wir die Geschichte erzählen wollen, wie wir es zum goldenen Matriarchat schaffen werden. Solche Zukunftsvisionen werden immer als Utopie dargestellt, das klingt in vielen Diskursen dann so, als wären sie unerreichbar. Für uns ist das Matriarchat eine machbare und realistische Zukunft, die wir mit dem Musical erkunden. Theater lebt einerseits vom Zusammenkommen vor Ort, gleichzeitig müssen wir mit unserer Kunst auch auf die Leute zugehen und sie an Orten treffen, wo sie unterwegs sind, bspw. online. Deshalb wird das Musical auch von weiteren Musikveröffentlichungen des Stars Hyäne Fischer begleitet werden.

Mit dem Song „Im Rausch der Zeit“ ist Hyäne Fischer 2019 zum Eurovision Song Contest für Österreich angetreten, in dem Kunstprojekt geht es um Unterwanderung, bspw. hier einer Schlagerszene mit feministischen Inhalten.
Seitdem hat sich relativ viel getan. Nicht nur vor der Volksbühne, sondern auch überhaupt gibt es Schwurbler*innen, deren starke Opfer/Täter-Umkehr für mich Kunst, die sich mit bloßer Ironie beschäftigt, abgeschwächt hat. Es braucht ganz unbedingt konkrete Kunst, und deshalb ist es auch das totale Musical. Ironie und linke Theorien sind von Neofaschisten appropriiert worden – wir drehen den Spieß um.

Welche Rolle spielt Humor?
Der neue Hit von Hyäne Fischer, der auch im Musical eine Rolle spielen wird, heißt „Hodenlos an die Macht“ (anstatt „Atemlos durch die Nacht“ von Kristina Bach). Wir verhandeln Macht und Genderfragen immer mit Humor, ob dieser dann auch verstanden wird, liegt letztlich, wie bei der Decodierung von Popmusik üblich, bei dem*der Rezipient*in. Jedenfalls finde ich Humor bei bestehenden Verhältnissen manchmal die einzig mögliche Herangehensweise.

Die Wienerin Marlene Engel ist seit einer Spielzeit Teil des dramaturgischen Teams an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Sie ist vor allem bekannt für ihre aufregenden Musikbookings am Zahn der Zeit und gilt weltweit als eine der ambitioniertesten Kuratorinnen für elektronische Musik.

„Hyäne Fischer – Das Totale Musical“, Premiere: 10.11., volksbuehne.berlin

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/22.