Bisexuelle sollen mehr als die Hälfte der queeren Bevölkerung ausmachen, so die Menschenrechtskommission in San Francisco in einem Report. Doch trotz dieser Größe dominieren Unsichtbarkeit, Unwissen und Vorurteile rund um Bisexualität.
Eine der ersten verzeichneten Verwendungen des Wortes „bisexuell“ stammt aus dem Jahr 1824 und findet sich in einem Kontext, in dem man heute vermutlich „intergeschlechtlich“ sagen würde. In der Botanik werden Pflanzen bis heute als bisexuell bezeichnet, wenn sie sowohl Staubblätter als auch Fruchtblätter haben. Erst im frühen 20. Jahrhundert beschrieb das Wort „bisexuell“ eine Sexualität.

Die teils stark aufgeladenen Diskussionen über den Unterschied zwischen Pansexualität und Bisexualität, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bi-Community, sind eng verknüpft mit der Annahme, nicht-binäre und trans Personen seien nicht in die Bedeutung von „bisexuell“ mit eingeschlossen. Doch die Bi-Community war seit jeher eng mit der trans Community verbunden und schon das 1990 vom Magazin „Anything That Moves“ veröffentlichte „Bisexual Manifesto“ zeigt, dass die Definition von Bisexualität seit Langem nicht-binäre Menschen einschließt. Viele trans und nicht-binäre Personen, inklusive mir, nutzen „bisexuell“ als Label für sich. Manche Menschen verwenden auch „bi- und pansexuell“ gemeinsam. Linguistisch gesehen deckt „pansexuell“ expliziter die Anziehung zu allen Geschlechtern ab. „Bisexuell“ kann dies begriffshistorisch gesehen ebenso bedeuten, tut es in seiner Wortherkunft aber nicht so explizit.

Wie mittlerweile viele in aktivistischen und akademischen Kontexten schreibe ich „Bi+sexualität“ daher am liebsten mit einem Pluszeichen – und verwende das Wort als Überbegriff für alle sexuellen und romantischen Orientierungen, die auf mehr als nur ein Geschlecht gerichtet sind. Wir leben in einer Gesellschaft, die Binaritäten liebt. Das betrifft Geschlecht genauso wie sexuelle und romantische Anziehung. „Straight, gay or lying?“ titelte bspw. die „New York Times“ 2005. Diese Unsichtbarmachung von Bisexualität nennt man „Bi- Erasure“. Das Konzept wurde im Jahr 2000 von Professor Kenji Yoshino der New York University eingeführt. Die extremste Form von Bi-Erasure ist, wenn Bisexualität als sexuelle Orientierung geleugnet wird.

Viele bisexuelle Menschen struggeln mit ihrer Identität, fühlen sich nicht queer genug und outen sich spät oder nie. Das ist eine Folge von Bi-Feindlichkeit und ihrer Internalisierung. Bi-spezifische Diskriminierung ist strukturell tief verankert und umfasst neben typischen Klischees von „du bist nur verwirrt“ und „alles nur eine Phase“ auch die Hypersexualisierung bisexueller Menschen. So wird ihnen z. B. oft unterstellt, untreu und ständig auf der Suche nach Dreiern zu sein. Hypersexualität und Polyamorie, aber auch unkonsensuales Verhalten haben jedoch wenig mit Bi-Sein zu tun, sie existieren unabhängig von der sexuellen Orientierung. Studien wie der Canadian Community Health Survey zeigen, dass Bisexuelle, verglichen mit hetero- und homosexuellen Menschen, in höherem Maße an Depressionen, Angststörungen und Suizidalität leiden. Bei bisexuellen Frauen ist der Wert am höchsten – die Überschneidung von mindestens Misogynie und Bi-Feindlichkeit lässt grüßen. Für sie ist die Gefahr, von partnerschaftlicher Gewalt betroffen zu sein, nochmals höher als für heterosexuelle Frauen, so u. a. eine Studie vom National Center for Injury Prevention and Control in den USA. Es ist daher dringend nötig, Bisexualität sichtbarer und selbstverständlicher zu machen. Melina Seiler

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/22.