Tausend und einmal geghostet
Kolumnist*in:
Hypertext von Zain Salam Assaad
„Hypertext” ist das Produkt aller möglichen Memes und Sad Songs des letzten Jahrhunderts. In dieser Kolumne beschreibt Zain Salam Assaad mal satirisch, mal ganz ernst, wie sich Exil, Popkultur und Weltgeschehen zwischen dem Mainstream und am Rand der Gesellschaft bewegen – zwischen Pass und Smash. Dazu teilt Zain Memes oder eigene Mood-Playlists.
Du bist eine der entführten Seelen in Ghosttown. Dich verfolgen tausend und ein Soldat. Du wartest seit hundert Stunden oder vielleicht seit Jahren darauf, dass deine Brieftauben endlich den grünblauen Himmel von Ghosttown überqueren und auf der anderen Seite des Seins landen, ohne vorher von den Soldaten runtergejagt zu werden. In der Wartezeit wirst du mit den entführten Seelen zu Geistern. Das Leben funktioniert generell anders als alte Nicolas-Cage-Movies, sodass deine Befreiung nicht unbedingt garantiert ist. Dramatisch! So sind nicht nur die letzten Zeilen, sondern wahrscheinlich auch deine und meine letzten Dates verlaufen.
App installiert, Bilder hochgeladen, zwei Sätze geschrieben – schon bist du im Spiel. Im besten Fall überleben ein paar Matches von dir das Hin und Her und ihr trefft euch. Zu einem Datingleben gehören allerdings Ghosting, Orbiting und unzählige Internetbegriffe, die unsere schlechte Kommunikation beim Dating beschreiben. Tatsächlich werden viele solcher Begriffe oft auf Freund*innenschaften und Arbeitsverhältnisse übertragen, weil sie den verinnerlichten Konsumdrang in Beziehungen gut auffangen.
Unter Ghosting versteht man die Kontaktabbrüche, die plötzlich passieren: Ihr wart in Kontakt. Es lief anscheinend alles super – bis das Moment eintrat, in dem nichts mehr zurückkam, obwohl es Kommunikationsversuche gab. Beim Orbiting interagiert die Person oberflächlich mit dir weiter auf Sozialen Medien, durch Likes z. B., obwohl sie dich geghostet hat. Manche wollen einfach mehr Follower*innen, Aufmerksamkeit oder können nicht loslassen. Dieser Diskurs ist Teil einer Reihe von Verhaltensweisen, die Menschen bewusst oder unbewusst im Alltag praktizieren, um sich zu schützen oder besser zu fühlen.
Ghosting ist uncool
Schlimm ist es, wenn man viele Zukunftspläne macht und nicht mitteilt, dass es doch nicht passt, weitere Dates auszumachen. Dürfen wir unbegründet Kontakt abbrechen? Ich würde sagen: Ja. Sollten wir mindestens „Tschüss“ sagen? Das würde ich auch bejahen. Es hängt viel davon ab, ob es überhaupt Raum für Kommunikation gibt. Es tut gut, eine Begründung zu bekommen. Man hat aber keinen Anspruch darauf, solange es nicht beidseitig gewollt ist. Als ich in kleineren Städten gewohnt habe, hat sich das Ghosting viel schlimmer angefühlt. Manchmal waren es Menschen, die weiter in meinem Umfeld präsent und in meinem sozialen Kreis gut vernetzt waren. Der Kontaktabbruch war deshalb mit Scham verbunden. Die unausgesprochenen Abbrüche haben meine versteckten Unsicherheiten verstärkt. In Syrien war das besonders schlimm, weil Kontaktversuche mit Ghoster*innen sowohl für mich als Teenager*in als auch für sie selbst gefährlich waren. Tja, da kann man sich nur zurücklehnen und Steine ins Meer werfen. Jetzt bin ich fast Profi in der Ghosting-Hauptstadt, weil in Berlin alle Ghost und Ghoster*innen gleichzeitig sind und man sich bestimmt irgendwann schon geghostet hat, weil der Kreis kleiner ist, als man denken mag. Dabei bleibt jedoch ständig ein schlechter Beigeschmack und der Wunsch nach einem leichten Ende. Einerseits bedeutet das Schreiben oder Treffen mit einer Person natürlich kein automatisches Eheversprechen zwischen mir und ihr. Andererseits würde ich als gut*e Ausländer*in am liebsten ein Onlineformular erstellen und es vor einem Date gegenseitig ausfüllen lassen. Darin sollen kurze Fragen zu Kontaktabbrüchen stehen und ein Link, auf den man klicken kann, wenn man den Kontakt abbrechen möchte. Vielleicht hilft das!
Tausendmal geghostet
Ich übertreibe ein bisschen, wenn ich tausendmal sage. Das waren vielleicht neunhundert oder zwanzig mal. Ich kann mich nicht genau erinnern, weil es irgendwann einfacher ist, nicht mitzuzählen. Ich kenne nichts anderes als Onlinedating, wenn es um Liebesleben geht. Sogar Freund*innen online zu treffen fällt mir viel leichter als in der Realität. Wenn ich Menschen offline kennenlerne, verstehe ich ihre Signale oft nicht. Ich hatte mehrere Dates, die ich als Freund*innenschaftsanfragen in meinem Kopf eingeordnet habe – und andersrum dasselbe. Die Unverbindlichkeit von Onlinekontakten verlockt und entlastet mich und viele andere Nutzer*innen von Datingportalen, weil man die Verantwortung für solchen Kontakt leicht abgeben kann. Sind aber diese Kontakte wirklich unverbindlich? Oder anders gefragt: Was macht einen unverbindlichen Kontakt aus? Diese Frage lässt sich nicht klar beantworten. Denn eine gewisse Verantwortung gegenüber sich selbst und der anderen Person soll Bestandteil jeder menschlichen Beziehung bleiben. Das heißt: Klare Ansagen zu machen ist heutzutage ein revolutionärer Akt. Man muss sich selbst überwinden, damit wir alle die Ghosttown verlassen können. Das braucht auch eine Basis an Konsens, Mut und gegenseitigem Respekt.
Hier eine Playlist für alle, die keinen Bock auf das Leben in Ghosttown haben.