Ein Ort für queere Vergnügen
Vor gut fünfzig Jahren kaufte der Bruder meiner Oma einen großen Teppich in Iran aus zweiter Hand. Irgendwann überließ er ihn ihr. Er wurde zum Zentrum der Wohnung: Auf ihm wurde gegessen, geschlafen und gebetet, deshalb durften meine Mutter und ihre Geschwister ihn nicht einmal mit Hausschuhen betreten. 1996 kamen seine Fransen aus der Form und meine Mutter durfte ihn mit nach Deutschland in unsere Wohnung nehmen, wo er zunächst im Wohnzimmer lag. Wenn ich nachmittags allein war und Langeweile hatte, lief ich das üppige Muster des drei mal vier Meter großen, dunkelblauroten

Prachtstücks mit den Füßen ab. Manchmal spielte ich mit meinen Freund*innen auf ihm fliegender Teppich. So richtig gehasst habe ich ihn erst nach unserem Umzug, denn er landete im gemeinsamen Zimmer meiner Schwester und mir. Jeder Versuch, meine Eltern zu einem neuen, neutraleren Teppich zu überreden, scheiterte. Meine Eltern begründeten es jedes Mal mit seinem Wert. Was interessierte mich das? Ich wollte ein Ikea- Jugendzimmer, kein Antiquariat mit kitschigem Oriental Vibe. Als ich 2016 in die erste Wohnung zog, die das Label „Studi- Bude“ nicht mehr verdiente, wollte ich unbedingt einen Teppich. Meine Eltern brachten mir diesen. Besser als nichts. Ich hatte meinen Frieden mit ihm geschlossen, mittlerweile waren sogenannte Perserteppiche für mich nicht mehr das Symbol von Rückschritt, sondern sogar stylish. Außerdem verdeckte er meinen hässlichen Boden. Das Leben auf dem Teppich hat sich über die Generationen verändert, von der Groß- zur Heteroklein- zur queeren Wahlfamilie. Die Erinner…