Hypertext von Zain Salam Assaad

 „Hypertext” ist das Produkt aller möglichen Memes und Sad Songs des letzten Jahrhunderts. In dieser Kolumne beschreibt Zain Salam Assaad mal satirisch, mal ganz ernst, wie sich Exil, Popkultur und Weltgeschehen zwischen dem Mainstream und am Rand der Gesellschaft bewegen – zwischen Pass und Smash. Dazu teilt Zain Memes oder eigene Mood-Playlists.

Dieser Text wurde geschrieben, während diese Playlist in Dauerschleife lief.

Dies, das, Identitätspolitik. Die Frage der Identität nimmt immer mehr Raum ein in der öffentlichen Debatte. Das lässt sich gut beobachten, weil wir lange in einer Welt lebten, in der die Menschen so getan haben, als ob sie keine Identitäten besäßen. Als ob sie frei von Kontexten und Vorgeschichten handeln würden. Als ob sie sich in der Leere bewegen würden. Das Besondere seit den 1980ern ist, dass die Kritik daran nicht unbedingt auf konservative Agenden zurückzuführen ist, sondern auf geschichtliche Missstände und Ereignisse wie den Kolonialismus. Diese Art der Identitätspolitik war eine Strategie, die unter anderem vom Combahee River Collective in den USA zur Anwendung kam, um gegen verschiedene Diskriminierungen gleichzeitig zu kämpfen. Das mögen manche gut finden und andere diskreditierend. Ich will eher einen Schritt zurückgehen und die Frage stellen: Wo liegen die Grenzen meiner Identität und meiner Freiheit?

Zain Salam Assaad

Zain Salam Assaad studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig. Heute arbeitet Assaad als frei*e Journalist*in und Übersetzer*in, insbesondere für die Themen LSBTIQ*-Rechte, Migration und digitale Trends, wobei dey immer Dinge in einen Kontext setzt. In der Freizeit beschwert dey sich gerne über das Wetter in Deutschland, toxische Netzkulturen und empathiefreie Debatten.
© Xueh Margrini Troll

In meinem zweiten Jahr in Deutschland habe ich an einem Workshop zum Thema Antirassismus teilgenommen. Die Trainerin stellte uns Fragen zu unseren Lebensrealitäten. Wir sollten Kategorien aus einem Katalog aussuchen, die uns und unsere Erfahrungen beschreiben. Ich kam mit einigen Kategorien nicht klar, weil da z. B. „muslimisch gelesen“ stand. Die Trainerin bestand darauf, dass ich „muslimisch aussehe“. Ironischerweise hat sie das einer christlichen Person aus Syrien in der Runde auch gesagt. Wir haben uns beide zurückgezogen und nichts mehr gesagt. Ich dachte, das soll bestimmt einfach so in Deutschland sein. Hier kann man muslimisch aussehen oder eben nicht. Es war mir allerdings bewusst, dass die Wahrnehmung von Menschen aus Syrien rassistisch aufgeladen ist. Wir sind nur dies oder das. In den Medien sind wir Täter*innen oder Opfer, die Gebildeten oder die Kriminellen. Als ob diese Kategorien für sich stehen und nicht vieles vereinen können. Es hat mich überrascht, dass diese Wahrnehmung Basis für die Bildung von Identitätskategorien für Menschen ist, die nicht hier geboren oder aufgewachsen sind.

Wir haben doch eine Geschichte außerhalb von Europa, habe ich mir damals selbst gesagt.

In Deutschland werden Menschen aus Syrien z. B. oft von linken und rechten pauschal als muslimisch und arabisch eingeordnet. Wir dürfen nicht im Plural existieren, verschiedene Existenzen und Erklärungen in uns vereinbaren. Wenn wir das versuchen, werden wir ignoriert, weil wir nicht nützlich für diese schwierige Debatte sind. Selbst das deutsche Diversitätsverständnis und die Analysen über Syrien und die Ecke da im Osten scheinen im Singular zu funktionieren. Der romantisierte Heimatbegriff aus den etablierten diasporischen Communitys wird als Waffe gegen abweichende Geschichten verwendet. Der Krieg wird als Identität dargestellt. „Den“ einen Krieg gibt es aber in diesem vereinfachten Sinne nicht. Es sind verschiedene Kriege und verschiedene Mächte, die unterschiedlich handeln, auch wenn sie mal gegeneinander oder mal miteinander kämpfen. Daraus folgend ergeben sich verschiedene Betroffenheiten, die nicht unter einem Begriff zu verstehen sind. Auch wenn Betroffene als „die Gruppe Geflüchteter aus Syrien“ gesehen werden.

Freiheit ist nichts Westliches oder Östliches. Freiheit ist überall!

Hier suchen alle einen bestimmten Feind. Ich habe ihn nirgendwo einzeln erlebt. Es sind Schemata und Faktoren, die manchmal alle Verhältnisse in jeder Situation anders strukturieren. Feindbilder sind überall zu sehen, wenn wir die Augen öffnen. Innerhalb von migrantischen Communitys genauso wie in der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Das existiert nur wirklich für diejenigen, die damit weiterhin zu kämpfen haben. Und während sie „im Westen“ den Feind suchen, kämpfen Menschen in von Krieg und Konflikten zerrissenen Ländern weiter um ihre Würde und für ihre Freiheit. Diese Menschen sind keine Repräsentant*innen für diese oder jene politische Theorie. Sie wollen ein besseres Leben und die Vereinfachungen aus Europa und den USA sind keine Hilfe dafür, diese Realitäten zu verstehen.

Warum müssen wir unsere Komplexitäten aufgeben? Warum müssen wir unsere Existenzen vereinfachen? Für wen?

Geflüchtete können alles sein. Migrant*innen können alles sein. Das klingt so einfach. So einfach wird das aber nicht gesehen, wenn es um Repräsentation oder tatsächliche Perspektiven aus dem Globalen Süden geht. Wenn Menschen Erfahrungen gemacht haben, die nicht mit den Vorstellungen der Debattierenden „im Westen“ übereinstimmen, werden sie direkt attackiert oder stumm gehalten. Entweder bist du migrantisch oder verwestlicht. Neue Mehrheitsdynamiken bilden sich innerhalb von Communitys und lassen keinen Platz für differenzierte Analysen oder Differenzexistenzen, die nicht das sind, was man erwarten möchte. Ich bin nicht assimiliert, wenn ich bestimmte Teile meiner Sozialisierung ablehne. Das ist keine Identitätskrise. Das ist Identität!