Alles ist am Ende. Menschen und Natur werden grenzenlos ausgebeutet, der Klimawandel mitsamt Bränden, schmelzenden Gletschern und steigenden Wasserspiegeln ist da. Soziale Ungleichheiten werden größer, faschistische Regime entstehen, rassistische Parteien gewinnen an Macht. Ist also alles zum Scheitern verurteilt? Oder wie sollen wir angesichts globaler Krisen dieser Dimension die Kraft aufbringen, uns gegen diese Verhältnisse zu wehren? Wo sollen wir anfangen? Und wie könnten wir überhaupt ins Tun kommen?

Der Dokumentarfilm „Rise Up“ versucht, dringend nötige Antworten auf diese ebenfalls von einer Off-Stimme gestellten Fragen zu geben, indem er fünf Protagonist*innen sozialer Umbrüche begleitet, die in scheinbar ausweglosen Situationen politische Veränderung erkämpfen konnten. Wir folgen ihren Berichten und Erkenntnisgewinnen, begleitet von der Off-Stimme und Bildern aus dem Absurditätenkabinett des zeitgenössischen Kapitalismus.

So schildert Shahida Issel, wie ihr und ihren Mitstreiter*innen etwas Überwältigendes gelang, nämlich das Apartheid-Regime in Südafrika zu stürzen. Die DDR-Bürgerrechtlerin Judith Braband berichtet von ihrer Organisation der Proteste 1989 und hinterfragt das unmittelbar folgende Aus der DDR. Camila Cáceres erzählt davon, wie sie aktiv wurde und mit Millionen Protestierenden für eine neue feministische Verfassung in Chile kämpfte. Marlene Sonntag, die von Deutschland nach Rojava zog und dort die kurdische Revolution unterstützte, beschreibt ihr Engagement als wichtigen Schritt in ein wirksames Leben. Kali Akuno, revolutionärer Organizer aus den USA, erinnert schließlich daran, dass alle Arbeits- und Menschenrechte erkämpft wurden, was zu vergegenwärtigen für uns heute von großer Bedeutung ist: Wenn wir uns klar machen, dass unsere Rechte nicht von gütigen Machthabenden verteilt wurden, sondern dass für alle einzeln und hart gestritten, protestiert und gestreikt werden musste, gewinnen wir eine Ahnung davon, was gegen heutige Ungerechtigkeiten zu tun ist. „Rise Up“ legt nahe, dass es jetzt an diese oft kleinteilige und auch nicht immer glamouröse Arbeit, die alle Protagonist*innen kennen, anzuknüpfen gilt. Und das macht Sinn: Erreichte politische Veränderungen sind keine singulären Ereignisse, wie beispielsweise Judith Braband betont, die mit dem Ausgang des Umsturzes in der DDR unzufrieden ist. Sie reihen sich ein in jahrelange Proteste, die in den meisten Fällen auch heute noch andauern. Wir können uns allerdings heute gar nicht vorstellen, was wäre, wenn diese fünf Menschen nicht aufbegehrt hätten und damit die Grundlage für kommende Bewegungen geschaffen hätten: Es war in allen Fällen das Wichtigste, dass ein Stein ins Rollen kam.

Man spürt, dass die Filmemacher*innen wissen, worüber sie sprechen: Der Film entstand aus dem Kollektiv Leftvision (@leftvision), das seit vielen Jahren linke Bewegungen in Deutschland begleitet. Verstanden werden kann das Ergebnis als ein Versuch, gegen gefühlte Ohnmachten anzufilmen – und bei aller Inspiration auch Zwischentöne sichtbar zu machen und Zweifel zuzulassen.

So standen nicht alle Protagonist*innen gleichermaßen im Machtzentrum vergangener Revolten und waren nicht gleich erfolgreich, alle haben auch Rückschläge eingesteckt. Der Organizer Kali Akuno hat selbst viel Polizeiterror erlebt und hat dadurch Verwandte und Freund*innen verloren. Shahida Issel und Judith Braband wurden für ihr Aufbegehren unterschiedlicher Art ins Gefängnis gesteckt, Marlene Sonntag erlebte die militärischen Auseinandersetzungen in Rojava und Todesfälle von Genoss*innen als tiefe Einschnitte. Camila Cáceres beschreibt die stark vom patriarchalen Staat bekämpften protestierende feministische Bewegung Chiles, deren Sieg noch ungewiss ist.

Der Film gewinnt durch solche Schilderungen an Komplexität und antwortet mit einem „trotz allem“ auf Repression. Die fünf Protagonist*innen erzählen ihre Geschichten vom Widerstand, der sich gelohnt hat, auch wenn in manchen Fällen nur für temporäre Siege, ein widerständiges Gefühl oder das Wissen darüber, welche Fehler es zukünftig zu vermeiden gilt.

Filmisch verbindet „Rise Up“ diese Erzählungen geschickt durch alltägliche Gesten: Wenn eine Person ihr Feuerzeug zum Rauchen sucht, mit dem sich nach dem Cut eine andere Person ihre Zigarette anzündet; wenn eine Person Gemüse schneidet, und die nächste mit Gemüse Essen zubereitet. So werden visuelle Verbindungen zwischen den Bewegungen, für die diese Personen stehen, geschaffen.

Es ist ein Film, der nicht nur zeigen will, was möglich ist, wenn wir uns aufraffen – sondern dazu auch unterschwellig ein WIE anbietet: Gemeinsam, zusammen, wenn wir unsere Verbindungen sehen können.

Wir kämpfen den gleichen Kampf, in all seiner Unterschiedlichkeit, will „Rise Up“ uns sagen – und kann damit motivieren, sich diesem Kampf anzuschließen. Lisa Klinkenberg

„Rise Up“ DE 2022

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Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard und Luca Vogel.

89 Min., Start: 27.10.