Von Lisa Klinkenberg

„Der HCG-Wert ist leider nicht genug angestiegen“, sagt eine Mitarbeiterin der Kinderwunschpraxis am Telefon. Schock. Ein heiß ersehnter Anruf, auf den ich seit dem positiven Schwangerschaftstest nach meinem achten und letzten Eizelltransfer hingefiebert habe – mit einer schlechten Nachricht: Die Schwangerschaft wird nicht halten. Der HCG-Wert, der sich anfangs immer alle zwei Tage verdoppeln muss, ist zu niedrig – ich werde eine Fehlgeburt haben. Das ist der Moment, in dem ich nach drei Jahren „Kinderwunschbehandlung“ entscheide: Das war’s jetzt. Ich kann nicht mehr, ich mache nicht mehr weiter.

Das ist sechs Monate her. Diese Zeit der Behandlung hat mir klar meine psychischen Grenzen aufgezeigt und ist immer noch in meinem Alltag präsent. Immer noch frage ich mich: Wie konnte es so weit kommen?

Ich war 36 Jahre alt und etwa drei Jahre mit Philipp in einer Beziehung, als wir entschieden, dass wir zusammen Kinder haben möchten. Eine große Entscheidung, die bald lustig chaotisch unser Leben umkrempeln würde, dachten wir. Wir hörten auf zu verhüten, hatten Sex zum Eisprung – aber nichts passierte. Jeden Monat kam meine Blutung, gnadenlos und schmerzhaft, und irgendwann legte mir meine Gynäkologin nahe, in meinem Alter lieber früher als später in eine Kinderwunschklinik zu gehen. Etwas naiv vielleicht, aber wir waren erst mal froh, nicht mehr nach Kalender Sex haben zu müssen, und gaben unsere Fortpflanzung vertrauensvoll in die Hände der modernen Reproduktionsmedizin – die würde das schon regeln. 

In einer raumschiffähnlichen Praxis wurde als Erstes eine Bauch- und Gebärmutterspiegelung veranlasst, um zu prüfen, ob die Eileiter für Eizellen durchlässig seien oder ob es noch andere Hindernisse gebe. Sie fanden eines mit dem Namen Endometriose. Ich hatte von der Krankheit schon gehört und einige Symptome trafen auch auf mich zu. Ich dachte aber, wie viele Betroffene, dass eine schmerzhafte Regel „normal“ sei und dazugehöre, und hinterfragte nicht, dass Gynäkolog*innen nie eine Bauchspiegelung zum Abklären veranlasst hatten. Vermutlich war ihnen das Abklären nicht wichtig gewesen, weil ich damals keinen Kinderwunsch hegte. Für den bedeutete die Endometriose allerdings nichts Gutes, waren sich die Ärzt*innen einig. Die Werte von Philipps Spermiogramm wiederum befanden sich im unteren Mittelfeld, also war klar: Wir würden das volle Programm brauchen. 

So trafen wir Vorkehrungen, um uns das finanziell leisten zu können: Wir heirateten und wechselten die Krankenkasse. Dieser relativ einfache Zugang zur Reproduktionsmedizin ist ein klares Privileg unserer cishetero Beziehung. Aber ich wollte nie heiraten und fand es eine Frechheit, dass der Staat mich mit der Finanzierung meiner Kinderwunschbehandlung zu einem weiteren Stückchen Heteronormativität zwingen konnte. Die Entscheidung zahlte sich aber schnell aus. Denn weil wir verheiratet waren und ich noch nicht vierzig Jahre alt war, wurden drei Behandlungszyklen im Wert von je ca. sechstausend Euro übernommen, eine Hälfte von einer Krankenkasse, die damals noch fünfzig Prozent übernahm, eine Hälfte vom Land Berlin. Eine krasse finanzielle Bevorzugung der Reproduktion von Heteropaaren, denn andere Paare können zwar z. B. in Berlin seit 2021 auf Förderung hoffen, allerdings ist der Betrag mit maximal neunhundert Euro pro Versuch gedeckelt, was vorne und hinten nicht ausreicht, zumal ja oft noch Samenspenden finanziert werden müssen. 

Missy Magazine 06/22, Gesundheitstext
© Stefanie Röhnisch

In der Kinderwunschpraxis trafen wir auf eine freundliche Ärztin mit weißen Haaren und in weißen Gewändern. Sie schlug vor, meine Eierstöcke mit der höchsten Hormondosis zu stimulieren, damit genug Eizellen reifen würden. Anschließend sollten die Eizellen mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) befruchtet werden, die befruchteten Eizellen dann ein paar Tage reifen und anschließend in meinen Uterus eingesetzt werden und sich dort einnisten. Klingt gar nicht so kompliziert, oder? Ich sag mal: na ja. 

Das Spektakel fängt an mit viel Hoffnung. Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, Behandlungspläne besprechen, Eisprung berechnen, Hormone spritzen, alle paar Tage Blut abnehmen lassen. Weiter geht’s mit Eisprung auslösen, Eizellentnahme per Vollnarkose, Befruchtung der Eizellen, dann krankgeschrieben die hochstimulierten Eierstöcke ausruhen. Zwischendurch weitere Medikamente einnehmen oder Transfusionen bekommen. Dann wird beim Eizelltransfer die befruchtete Eizelle – oft schon im mehrzelligen Stadium als Blastozyste – in den Uterus eingesetzt. 

Nach dem Eizelltransfer ist die erste Hürde geschafft, dann ist plötzlich zwei Wochen Funkstille. Zwei Wochen Wartezeit, in der sich die befruchtete Eizelle einnisten soll. In dieer Zeit soll man sich am besten viel schonen, und gar nicht groß dran denken – ganz normal weitermachen, aber am besten auch aufpassen, weiter Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, dabei keine großen Anstrengungen, kein Stress und immer positiv bleiben… Kein Wunder, dass in diesem Zeitraum die Nerven blank liegen. Beim Warten wird aus Hoffnung schnell Angst: Ist dieses Ziehen ein Schwangerschaftsanzeichen oder kündigt sich die Menstruation an? Was, wenn es nicht klappt? Wenn es nie klappt? Was, wenn es klappt – bleibt es dann? Kann ich mir einen nächsten Versuch überhaupt leisten? Nach den überstandenen zwei Wochen steht die Blutentnahme in der Praxis an und danach: der Anruf. Wenn der Bluttest positiv ist und eine Schwangerschaft existiert, freut sich die Sprechstundenhilfe mit – ein schöner Moment. Natürlich auch etwas irreal, weil so heiß ersehnt. 

Falls das Telefonat anders endet – mit einer im besten Fall empathischen Stimme, die leider keine Schwangerschaft verkünden kann –, dann ist die Frage: Was jetzt? Wann kommt der nächste Versuch? Und so fängt alles wieder von vorne an. Wer Glück hat, kann befruchtete Eizellen einfrieren (Kryo), sie aufgetaut zum Eisprung wieder einsetzen lassen und spart sich so eine erneute Stimulation. 

Kinderwunschpatient*innen kennen den Song irgendwann in- und auswendig. Ich habe fünf Stimulationen mitgemacht und acht Eizelltransfers. Ich habe so viel Omega3, Magnesium, Vitamin D, Folsäure, Selen, Vitamin E, B12, B2, B6, Q10 eingenommen, dass sich von den enthaltenen Farbstoffen mein Urin knallgelb gefärbt hat. Mir wurde so viel Blut abgenommen, dass die Stelle, an der das Blutabnehmen gut klappt, irgendwann einfach abgenutzt war. 

Ich war vor allem, und das ist das Schlimmste, eine Zeit lang in einer immer enger werden- den Schleife aus Hoffnung und Enttäuschung gefangen, die mein Leben bestimmte. Jeden Zyklus wieder hoffen und warten auf ein neues Leben in meinem Körper, auf ein Leben mit Kind, auf Elternzeit, eine willkommene Zeit ohne Lohnarbeit, auf ein glückliches Ende. 

Über meinen Zustand wussten nur Leute in meinem engen Umfeld richtig Bescheid. Es war für mich zu schwer, offener damit umzugehen. Philipp und ich konnten gut miteinander reden, und obwohl wir uns unterschiedlich betroffen fühlten, sind wir uns auch in dieser Zeit nah geblieben – was toll ist, denn statistisch gesehen ist das in fünfzig Prozent der Fälle genau andersherum. Mit engen Freund*innen habe ich relativ früh über meine Situation gesprochen, und sie haben mich extrem unterstützt, sonst hätte ich das alles gar nicht ausgehalten. 

In meinem Umfeld gab es nur sehr wenige, die einen ähnlichen Weg gegangen sind, vielen war das Thema zwar bekannt, aber sie waren nicht in einer vergleichbaren Situation. Eine enge Freundin, die auch in Kinderwunschbehandlung war, habe ich in der Zeit gewonnen, der Austausch war für mich sehr wichtig. Aber ich fand mich trotzdem in einer Parallelwelt lebend, in einer, in der ich morgens schon zehn Tabletten nehme, mir abends (wenn es nicht anders geht auf dem Klo irgendwo) eine Spritze in den Bauch ramme, alle paar Tage vor der Arbeit zur Blutentnahme in einen weit entfernten Stadtteil fahre, Tausende TCM- Behandlungen vereinbare, Meditation mache, egal, Hauptsache, es hilft – und immer warten, warten, warten. Warten, während meine Arbeitgeber*innen nur teilweise informiert sind und ich nur hoffen kann, dass ich trotz meiner immer weniger werdenden Kapazitäten meine Jobs nicht verliere, denn ich brauche ja das Geld – hoffentlich – in der Elternzeit. 

Ich habe mich sehr allein gefühlt, und dass nicht erfüllte Elternschaft medial nur selten thematisiert wird, hat es nicht besser gemacht. Erst, als ich selbst in der Situation war, keine Kinder zu bekommen, fiel mir auf, wie wenig das Thema unerfüllter Kinderwunsch in der Öffentlichkeit präsent ist. Es gibt zwar mittlerweile mehr Berichte über künstliche Befruchtung und Ratgeber von Am-Ende-doch-noch-Eltern, aber der nicht erfüllte Kinderwunsch bleibt ein Tabuthema. Die meisten sprechen nicht darüber, dabei sind Role-Models so wichtig, gerade für einen schlechten Ausgang: Wie enden „Kinderwunschreisen“ für die, die es erfolglos versuchen? Und: Was dann? 

Als wir in der Behandlung steckten, erschienen doch hier und da im Bekanntenkreis Leute, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Das ist nicht überraschend, weil nach Auskunft des Statistischen Bundesamts eines von zehn Paaren ungewollt kinderlos bleibt, 17 Prozent aller Frauen nehmen reproduktionsmedizinische Leistungen in Anspruch.* Es sind also nicht wenige betroffen, und ich war froh, irgendwann die Ausnahmen, in denen Leute ihre Geschichte erzählen und so alle kinderlos Gebliebenen sichtbarer machen, gefunden zu haben. 

Im Sammelband „Nicht nur Mütter waren schwanger“, herausgegeben von Alisa Tretau, winkt in vielen sehr unterschiedlichen Schilderungen eines eigenen Kinderwunschs die Möglichkeit, keine Eltern zu werden, stets am Horizont. Der Instagram-Account @MeineUnfruchtbarenTage thematisiert das Tabu Unfruchtbarkeit und die Stigmatisierung, der sich viele ungewollt Kinderlose ausgesetzt fühlen, offensiv. Die Influencerin @AnnaAdamyan teilt mutig mit Tausenden Follower*innen die intimsten Momente ihrer Kinderwunschbehandlung trotz offenem Ende. Sie fordert in einer Petition die volle Kostenübernahme von Fertilitätsbehandlungen für alle und setzt sich als Betroffene für mehr Endometrioseforschung ein. Die Journalistin Emily Thomey beschäftigt sich im Radiofeature „Die Mutterschaftsfrage“ öffentlich mit ihrem bislang unerfüllten Kinderwunsch, und im Podcast „Kinderwunschlosglücklich“ erzählt Susanne, wie es ihr gelingt, trotz unerfülltem Kinderwunsch ein erfülltes Leben zu führen. Obwohl ich den Gedanken lange nicht zulassen konnte, hat es mich beruhigt, dass das zumindest für andere möglich ist. Während im deutschsprachigen Raum versucht wird, das Thema Fertilität an sich zu beleuchten und aus der Tabuecke herauszuholen, ist es im englischsprachigen Raum spätestens seit Michelle Obamas Buch, in dem sie über ihre Kinderwunschbehandlung schreibt, im Mainstream verortet. Das schafft Raum für einen differenzierteren Diskurs und ermöglicht die Auseinandersetzung mit anderen relevanten Aspekten: Im „Guardian“ beschreibt z. B. Edna Bonhomme, wie die gefühlte Unsichtbarkeit ihrer Infertilität mit ihren Vorstellungen von Schwarzer Mutterschaft verknüpft war und ihr die Vorstellung von queerer kollektiver Verwandtschaft geholfen hat. Im Podcast „Infertilidad Latina“ spricht Jasmine Higgins mit anderen queeren Latinas, die sich in ihrer Community einem großen Druck ausgesetzt fühlen, Kinder zu bekommen. Die Social-Media- Selbsthilfegruppe The Worst Girl Gang Ever (TWGGE) bietet gegenseitige Unterstützung bei Fehlgeburten. Durch Sammlungen dessen, was Betroffene von Fehlgeburten nicht hören wollen („Beim nächsten Mal klappt’s bestimmt“), wie Freund*innen ihre Schwangerschaften sensibel verkünden können (nie live, immer schriftlich), oder von verschiedensten Fehlgeburtgeschichten gelingt TWGGE etwas Großes, nämlich das Thema wirklich zu enttabuisieren. 

Ich wusste irgendwann, dass ich nicht ewig weitermachen kann. Die Hochs und Tiefs, die so nah beieinander lagen, waren schwer auszuhalten. Der Tiefpunkt war eine Fehlgeburt, die nach einer kurzen Schwangerschaft beim fünften Versuch eintrat. Toll, endlich schwanger, dachten wir, trotz schlechter Statistiken wegen Alter und Endometriose. Es war eine seltsame Zeit, denke ich rückblickend, denn ich war zwar froh, schwanger zu sein, wollte mich aber noch nicht zu sehr freuen und fand alle Schwangerschaftssymptome maximal unangenehm. Trotzdem konnte ich diese Schwangerschaft manchmal genießen, worüber ich mich heute freue – denn sie hat nur neun Wochen gehalten. 

In der achten Woche sahen wir den Herzschlag, ich habe noch ein verwackeltes Handybild davon. In der Woche darauf war das Flackern weg. Ich hatte mich vorher nicht tiefgehend mit den Folgen einer Fehlgeburt beschäftigt und dachte, gut, so was passiert vielen, aber heute weiß ich: Das war eines der schlimmsten Erlebnisse meines Lebens. Ich dachte damals, einfach nur durchkommen, es wird schon wieder, aber es war, als würde die ganze Welt einstürzen, als würde mir der Boden unter den Füßen so schnell weggerissen, dass ich einfach in der Luft stehen bleibe. Heute, eineinhalb Jahre später, habe ich immer noch Tränen in den Augen, wenn ich daran denke. 

Fehlgeburten sind wohl oft schlimm. Viele erleben mehr als eine, vor allem während Kinderwunschzeiten oder -behandlungen. Gleichzeitig sind alle Körper individuell und alle Erfahrungen unterschiedlich. Ich vermute, dass sich zu meiner Trauer über das früh verlorene Kind andere Faktoren gesellten, die Fehlgeburt sich mit anderen Verlusterfahrungen in meinem Leben überlagerte. Dazu kommt, dass meine nicht sichtbare frühe Schwangerschaft noch so zart war und der Abbruch als körperlicher Vorgang bei mir keine großen Folgen hatte. Es kam mir alles nicht real vor: War ich überhaupt schwanger gewesen? Ich habe den Verlust meines Babys als tiefen Einschnitt in mein Leben erlebt, aber von außen war er nicht sichtbar – die Welt drehte sich weiter, als wäre nichts passiert, aber meine lag in Scherben. 

Es hieß von vielen Seiten, dass die kurze Schwangerschaft ein gutes Zeichen sei und dass es bestimmt noch klappt. Ich habe daran geglaubt und wir wollten es wieder probieren. Nach weiteren OPs und einer Endometriose- Sanierung haben wir noch drei weitere Versuche gemacht. Als ich beim letzten noch mal schwanger war, freute ich mich kurz, doch dann wurde klar, dass es wieder zu einer Fehlgeburt kommen würde. Das war mein Aha-Moment: bis hierhin und nicht weiter. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit war das ein Moment, in dem ich eine selbstbestimmte Entscheidung traf, und das tat gut. Immer noch fühle ich mich dadurch gestärkt, dass ich irgendwann gesagt habe: Hier ist jetzt Schluss, jetzt zähle wieder ich. 

Für mich war es ein Glück, dass in meiner schwierigsten Zeit keine meiner engen Freund*innen schwanger war. Denn ich hätte mich mit ihnen nicht umgeben können, es wäre für mich einfach zu schmerzhaft gewesen. Das ist schlimm, weil ich einen solidarischen, feministischen Umgang in Freund*innenschaften wichtig finde und leben will – aber eine Zeit lang konnte ich das nicht. Ich hatte meinen engsten Freund*innen durchgegeben, wie ich Schwangerschaftsneuigkeiten erhalten will und wie nicht. Aber ich wusste immer: Falls eine von ihnen, mit denen ich über meinen Zustand sprechen kann, schwanger wird, brauche ich wahrscheinlich Abstand. Neid hat mich nicht begleitet, es war eher eine tiefe Traurigkeit, die sich beim Anblick von großen runden Bäuchen, Schwangerschaftsannouncements oder Neugeborenen breitgemacht hat. Ich musste mich eine Zeit lang komplett vor solchen Begegnungen schützen, zumindest habe ich es versucht, nicht immer mit Erfolg. Ich bin froh, dass sich das wieder geändert hat. Mittlerweile merke ich, wie ich da wieder durchlässiger werde, eine schwangere Freundin zwar etwas schwierig für mich ist, aber nicht unmöglich, und ich in Kindern in meinem Umfeld wieder einen Gewinn sehe statt eine psychische Belastung. 

In meinem Umfeld wurden natürlich trotzdem viele Personen Eltern, ich bin gerade vierzig geworden, Primetime für lebensentscheidende Fragen. Immer noch macht mich die Frage „Warum nicht wir?“ in manchen Konstellationen tieftraurig. Aber ich kann wieder sehen, dass wir alle unterschiedlich sind. Alle haben ihre eigenen Storys, individuelle Körper, sind vom Patriarchat gebeutelt auf irgendeine Weise und müssen einen eigenen Umgang da- mit finden. Das eint uns, wenn wir es schaffen, eine gemeinsame Sprache dafür zu finden. 

Manchmal frage ich mich: Warum ist es eigentlich so undenkbar für mich, keine Mutter werden zu können? Ich habe noch immer keine befriedigende Antwort auf diese Frage gefunden: Einerseits waren Kinder immer irgendwie Teil meines Lebensplans, andererseits habe ich lange dabei gezögert, welche in die Welt setzen zu wollen – für beides gibt es Gründe. 

Auch wenn ich viel des Erlebten noch verarbeiten muss, ist jetzt schon klar: Mir hilft Ambivalenz. Die Behandlungszeit war belastend, aber meine Freund*innenschaften haben sich intensiviert, meine Partnerschaft geht sogar gestärkt daraus hervor. Die Kinderwunschbehandlung war eine Hölle, trotzdem bin ich froh, dass wir es versucht haben. Ich bin in einer Situation, in der ich es schön fände, Mutter zu sein, aber dann hätte ich ein weniger selbstbestimmtes Leben – und das liebe ich sehr. Ich sehe Freund*innen mit Kindern, die für kaum etwas anderes Zeit haben – was belastend sein kann, wie etwa Geschichten unter dem Hashtag #RegrettingMotherhood zeigen. 

Meine Mutter, einige Zeit alleinerziehend und immer berufstätig, konnte davon ein Lied singen. Als ich ihr von unserem letzten gescheiterten Versuch erzählte, sagte sie zu mir: „Weißt du, es hat immer alles zwei Seiten.“ Und ich denke, das ist eine gute Art, auf meine Situation zu blicken. Selbst falls eine unwahrscheinliche Adoption noch zur Elternschaft führen würde, will ich nicht zu viel meines Lebensglücks hineinprojizieren, will ein Kind nicht überhäufen mit der überzogenen Erwartung der Erfüllung meines Lebens durch seine Existenz. Auch wenn ich gerne Mutter wäre: Ein Kind wäre auch dann nicht das einzig Wichtige in meinem Leben. Auch jetzt ist in meinem Leben viel Gutes. Das zu sehen und anzuerkennen, ist wichtig. Ich will leben, nicht warten, und für mich ein anderes Happy End finden.

Dieser Text erschien zuerst in der Missy 06/2022