Podcasttipps 01/23
Von
Seeing Color
Gespräche über Kunst um die Perspektive von BIPoC erweitern: Das ist das Ziel des US-amerikanischen Podcasts „Seeing Color“. Der Host Zhiwan Cheung wurde als Kind chinesischer Immigrant*innen in Kalifornien geboren, seine Identität hat einen großen Einfluss auf seine kreative Arbeit, zu der v. a. Performance Art, Storytelling und Videos gehören. In seinen Podcast lädt er BIPoC aus verschiedenen Bereichen der Kunst ein, ob visuelle Formen oder Literatur, Bildung oder Wissenschaft. Gemeinsam sprechen sie u. a. darüber, wie ihnen der Zugang zu einer sowieso schon harten Branche erschwert wird – und wie die weiß dominierte Kreativszene ihr Werk oft unsichtbar macht. Der Podcast dürfte sich v. a. an ein Publikum aus dem künstlerischen Bereich richten, da die Unterhaltungen für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar sind. Auch die ruhige Gesprächsführung ist Geschmackssache: Was für manche angenehm klingt, könnte anderen das Zuhören erschweren. Trotzdem gibt „Seeing Color“ wichtige Einblicke in die Arbeitswelt von BIPoC-Künstler*innen – und zeigt auf, welche Möglichkeiten es gibt, um die Branche diverser zu gestalten und junge, marginalisierte Personen zur künstlerischen Tätigkeit zu ermutigen. Lena Mändlen
„Seeing Color“ Zhiwan Cheung, 43–145 Min. Auf allen gängigen Plattformen.
Seelenfänger: Der Anastasia-Kult
Eigentlich klingt es idyllisch: ein eigenes Landgut, mit dem man sich selbst versorgen kann, es wird meditiert, Fremde wie Familienangehörige werden willkommen geheißen. Doch hinter dieser beschaulichen Fassade steckt eine antisemitische, antifeministische, rassistische und verschwörungstheoretische Ideologie – die Anastasia-Bewegung. Die ist in ihrem Kern so radikal, dass sie sogar Reichsbürger*innen anzieht, also jene Menschen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Dieser sektenartige Kult basiert auf der zehnteiligen „Anastasia“-Buchreihe des Russen Vladimir Megre, die zwischen 1996 und 2010 erschien. Darin erzählt er von vermeintlichen Begegnungen mit einer angeblich realen Frau, die verbunden mit der Natur in Sibirien leben und Megre ihre „Weisheiten“ erzählt haben soll, die dieser dann aufschrieb. Was genau hat es mit dieser rechtsesoterischen Bücherreihe und mit der dahintersteckenden Ideologie auf sich? Warum fällt sie gerade in Deutschland auf so fruchtbaren Boden, dass von Allgäu über Niedersachsen bis Brandenburg Anastasia-Landgüter gegründet wurden? Im BR-Podcast „Seelenfänger“ gehen die Journalist*innen Emeli Glaser und Dennis Müller dieser neureligiösen Strömung auf den Grund, sprechen mit Aussteiger*innen, Anhänger*innen, Expert*innen – und am Ende sogar fast mit Megre selbst. Isabella Caldart
„Seelenfänger: Der Anastasia-Kult“ Emeli Glaser und Dennis Müller, 6 Folgen, 34–43 Min. Auf allen gängigen Plattformen.
The Guilty Feminist
Schon fast 350 Episoden „The Guilty Feminist“ hat Deborah Frances-White seit Dezember 2015 aufgezeichnet. Die in England lebende Australierin thematisiert Folge für Folge mit unterschiedlichsten Gäst*innen Feminismus in allen Facetten, mit trockenstem englischen Humor und ohne Blatt vorm Mund. Es ist lustig und erfrischend ehrlich, wie sie die Diskrepanz zwischen dem Kampf um Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung („our noble goals“) und als oberflächlich abgestempelten Gedanken – wie über das eigene Aussehen oder Rollen- und Geschlechterklischees („our worst hypocrisies“) – aufzeigt. So wird jede Episode mit einer Art Beichte gestartet, „I’m a feminist, but …“, um gleich klarzustellen: Hier geht es nicht um verkopften Kampffeminismus, sondern um Menschen mit Gefühlen. „The Guilty Feminist“ ist mehr Stand-up als Interview, die meisten Episoden sind mitgeschnittene Live-Auftritte und gelegentliche Interaktion mit dem Publikum unterhaltsames Nebenprodukt. Die Themen der Shows sind so vielfältig wie die Gäst*innen und reichen von Sexarbeiter*innen, Kinderwunsch, Bisexualität, bis zu Black Trans Rights. Nebenbei erfährt der*die gelegentliche Hörer*in manchmal mehr, als er*sie möchte, über Frances-Whites Privatleben und die offene Beziehung zu Ehemann und Podcast-Produzenten Tom, der öfter gebeten wird wegzuhören. Deborah Frances-White ist so charmant-schlagfertig wie engagiert und politisch. Guilty ist, wer sie noch nie gehört hat. Amelie Persson
„The Guilty Feminist“ Deborah Frances-White, 41–79 Min. Auf allen gängigen Plattformen.
Sounds Like A Cult
Was haben Taylor Swift, SoulCycle und Elon Musk gemeinsam? Sie werden von Menschen in aller Welt angebetet und kultisch verehrt. Wer denkt, dass Sekten ein Relikt der Vergangenheit sind, wird spätestens nach dem Hören des in den USA populären Podcasts „Sounds Like A Cult“ schnell eines Besseren belehrt. Jede Woche analysieren die beiden Moderatorinnen Amanda Montell und Isa Medina „the modern-day cults we all follow“ und decken sektenähnliche Dynamiken in unserer modernen Gesellschaft auf. Das inhaltliche Spektrum reicht dabei von relativ harmlosen Lifestyle-Trends (Skincare, Minimalismus) bis hin zu fragwürdigen Instagram-Therapeut*innen oder gefährlichen Selbsthilfegurus wie Teal Swan. Schwere Themen kommen eher am Rande vor. Jede Folge endet mit derselben Frage: Fällt dieser Kult in die Kategorie „Lebe dein Leben“, „Pass auf dich auf“ oder „Get The Fuck Out“? Die stets nach dem gleichen Schema aufgenommenen Folgen regen zum Nachdenken an, sind in der Regel aber plauderig und angenehm kurzweilig gehalten. Nicht selten ertappt man sich selbst rückblickend dabei, den ein oder anderen Wellnessquatsch zu viel mitgemacht zu haben, hinterfragt den ungesunden Körperkult der Kardashians oder den aktuellen Hype um die Royals. „This group sounds like a cult, but is it really?“ Antwort: vielleicht! Katja Peglow
„Sounds Like A Cult“ Amanda Montell & Isa Medina, 25–70 Min. Auf allen gängigen Plattformen.
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 01/23.