Von Ayesha Khan

Ein Begriff, der seit Beginn der Protestbewegung in Iran und Ostkurdistan, aber auch seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 immer wieder aufploppt, ist „Klerikalfaschismus“ oder auch „Klerikaldiktatur“. Wenngleich vielen Menschen bewusst ist, was die Begriffe Faschismus und Diktatur meinen, stelle ich fest, dass, besonders in europäischen Ländern, der Begriff Klerikalfaschismus wenigen was sagt. Und das ist recht witzig, wenn man bedenkt, welchen Ursprung dieser Begriff hat
 und dass wir im Jahr 2022, auch im vermeintlich aufgeklärten und säkularen Westen, klerikalfaschistoide Tendenzen sehen können.
 Aber von vorne: Der Begriff entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich kirchliche Amtsträger (der Klerus) in Europa an faschistische Parteien annäherten. Über den Ursprung des Begriffs wird viel gemutmaßt. Er taucht Mitte der 1920er-Jahre in Italien auf. „Clerico-Fascisti“ wurden die Parteimitglieder der katholischen Volkspartei Partito Popolare Italiano genannt, die sich den Faschist*innen unter Benito Mussolini anschlossen. Prominente Beispiele für klerikalfaschistische Regime in Europa sind auch
das Franquistische Spanien (1936–77) oder das Ustascha-Regime in Kroatien (1941–45). Der Begriff wird also sehr streng mit der 
katholischen Kirche aka dem Vatikan verknüpft. Viele Diktatoren, wie z. B. Franco, versuchten, durch die Kirche Legitimation
zu erhalten. Oft waren sie dabei sehr erfolgreich. Sowohl die Christdemokraten als auch der Vatikan unterstützten am Anfang das 
Franco-Regime. Politischer Katholizismus lag damals voll im Trend, könnte man sagen. Unter Franco mussten Beamte katholisch sein, die Zivilehe wurde abgeschafft (das heißt, man konnte nur noch kirchlich heiraten), Scheidung, Verhütungsmittel und Abtreibung wurden von Franco per Dekret verboten. Und? Erinnert uns das nicht an die Bestrebungen gewisser Parteien in ,,modernen“ westlichen Ländern? Auch im nationalsozialistischen Deutschland spielte die Kirche eine besondere Rolle.

Hitler war auf die Unterstützung der Kirche, sowohl evangelisch als auch katholisch, angewiesen. Viele christliche Strömungen und Kirchen hatten keine Probleme mit der nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Ideologie der Nazis. Bekannt ist auch, dass der Vatikan ehemaligen Nationalsozialist*innen nach 1945 zur Flucht vor Strafverfolgung ins Ausland verhalf. Aber was hat das jetzt mit den Mullahs in Iran oder den Taliban in Afghanistan zu tun? Hier wird es kompliziert, wie immer gibt es Unstimmigkeiten unter Historiker*innen und Faschismusforscher*innen, was die Begrifflichkeiten angeht. Was ist z.B. der Unterschied zwischen einer klerikalfaschistischen Regierung und einer Theokratie, einem sogenannten Gottesstaat, in dem es eine Staatsreligion gibt? Wie differenziert man zwischen demokratisch gewählten Parteien, die klerikalfaschistoid sind, weil sie Gesetzgebung theologisch begründen, wie z.B. die PiS-Partei in Polen, und theokratischen Mullah-Diktaturen wie in Iran? Die Expert*innen haben dafür keine eindeutigen Abgrenzungen. Doch während Demokratien, zumindest auf dem Papier, die Trennung von Kirche (Religion) und Staat kennen, sind Theokratien immer Herrschaftsformen, die allein religiös legitimiert werden. Im Fall von Iran sprechen Wissenschaftler*innen deshalb auch oft von einer „islamischen Theokratie“, weil das Rechtssystem auf islamischem Recht (Scharia) beruht. Vielleicht sind die Übergänge fließend, vielleicht mündet das eine in das andere. Interessant ist doch, dass sie sich ähnlicher sind, als sie zugeben würden.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 01/23.