Staus und Behinderungen von Marie Minkov

Unsere Kolumnistin über Eskapismus und die Schwierigkeiten, sich in aktivistische Kämpfe zurückzufinden.

Ich poste nichts, ich sage nichts, ich bin gar nicht richtig da. In Räumen sitze ich nah an der Tür, schon wieder halb dabei, zu gehen. Ich höre nicht richtig zu, weiß nicht genau, worum es geht, bin immer etwas hinterher und will nicht aufholen.

Seit fast einem Jahr habe ich die Nachrichten nicht mehr verfolgt. Ich mache mir keine Gedanken und wenn doch mal einer kommt, läuft irgendwas falsch. No thoughts, head empty. Page empty. Ich möchte keine Meinung haben und auch nicht danach gefragt werden. Beim Serienschauen muss ich Handyspiele spielen, sonst wird mein Gehirn nicht genug stimuliert. Wichtig ist dabei nicht, was ich konsumiere, sondern was ich NICHT konsumiere. Letztes Jahr bin ich auf Instagram und Twitter allen Accounts entfolgt, die mir politische Inhalte reinspülen. Der einzige Aktivismus, den ich noch mitbekomme, ist der von meinen Freund*innen, oder der, der mir erzählt wird.

Marie Minkov

Marie Minkov arbeitet als freie Autorin und Illustratorin und studiert Literarisches Schreiben in Hildesheim. In ihren Texten befasst sie sich mit Behinderung, Norm und Scham und untersucht das Inklusionspotential autobiografischer Texte.

Zu Beginn der Corona-Pandemie, aber auch während Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine waren die sozialen Medien voll von Posts darüber, wie wichtig es ist, die Nachrichten auch mal auszuschalten, sich davon zu distanzieren, was in der Welt passiert. Jetzt bin ich so distanziert, dass ich nicht mehr weiß, wie ich zurückfinde. Wenn irgendwo ein Radio mit Nachrichten läuft, zieht sich etwas in mir zusammen. Ich bin nicht mehr in der Lage, diese Dinge auszuhalten.

© Rahel Süßkind

Wenn ich es zulasse, darüber nachzudenken, frage ich mich, wie es so weit kommen konnte. Schließlich war das einmal ganz anders. Noch vor zwei Jahren habe ich Kämpfe gekämpft und hatte das Gefühl, etwas zu sagen zu haben, etwas sagen zu müssen, wirkungsmächtig zu sein. Dass Aktivismus zu so etwas wie einem Burnout führen kann, ist erforscht und ein gängiges Phänomen: Der jahrzehntelange Kampf für Dinge, die sich nicht verbessern, das Gefühl, persönlich alles zu geben und trotzdem kaum Fortschritte zu sehen, sorgt natürlich für Frustration und Erschöpfung. Insbesondere, wenn man aufgrund der eigenen Identität und Positionierung auch im Alltag ständig Bildungsarbeit leisten muss, oder aufgrund von Lohnarbeit ohnehin schon ausgelastet ist. Schnell kann man sich fragen: Was bringt das alles irgendwem? Lohnt sich dieser Kampf, wenn so viele Menschen es noch immer nicht schaffen, überhaupt zuzuhören?

Ich glaube es stimmt, dass mich diese Zweifel an aktivistischer Wirkungsmacht erschöpfen. Aber was mich mindestens genauso erschöpft, ist nicht zu wissen, wie ich inmitten der Informationsflut über die sozialen, ökologischen und politischen Probleme dieser Gesellschaft in den sozialen Medien auf eine gesunde Art informiert und aktiv bleibe. Was ist gerade wichtig? Alles, überall, die ganze Zeit. Instagram hat keine Öffnungszeiten, ich benutze die App in der Mittagspause auf der Arbeit und um drei Uhr nachts, wenn ich nicht schlafen kann. Ganz egal, ob ich gerade müde bin, keine Kapazitäten habe, ohnehin schon ausgebrannt bin, die Flut an Content, die mir entgegengespült wird, kann ich kaum kontrollieren. Auch der Online-Aktivismus, so wie er jetzt ist, ist dafür prädestiniert, meine emotionalen Kapazitäten auszuschöpfen und mich auszubrennen. Wenn ich jeden Tag, den ganzen Tag, mit Posts überschwemmt werde, die wollen, dass ich aktiv werde, dass ich verstehe und dass ich mitfühle, dann kann ich ganz schnell gar nichts mehr fühlen. Die Konsequenz: Ich fange an, zu vermeiden, möchte nichts mehr hören und nichts mehr wissen.

Das tun zu können, ist natürlich immer auch ein Privileg. Denn Vermeidung funktioniert eben besonders gut, wenn man selbst nicht betroffen ist. Und sich völlig rauszuziehen, heißt auch, anderen den Kampf zu überlassen, und andere im Kampf allein zu lassen. Vermeidung funktioniert für mich daher auch nie ohne Scham und schlechtes Gewissen, und lässt mich meine eigene Arbeit in Frage stellen. Denn wie wichtig ist meine eigene Befindlichkeit im Vergleich zu dem, was da draußen passiert? Wozu Texte schreiben oder Gedanken denken, wenn sie nicht helfen, nichts nutzen? Was bleibt, ist eine Schreibblockade, eine Denkblockade, ich kapituliere vor der Menge an Dingen, die ich vermeide und konsumiere leichteren Content, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen.

Mein Neujahrsvorsatz war, jeden Morgen nach dem Aufwachen mindestens fünf Minuten lang Nachrichten zu hören. Bisher habe ich es ohne Ausnahme jeden Tag geschafft. In gewisser Weise ist es weniger beängstigend, Nachrichten zu hören, als sie nicht zu hören, weil sie dann nicht mehr das große, bedrohliche Unbekannte in der Ecke meines Kopfes sind. Ich versuche, mich langsam wieder zu informieren, langsam wieder zuzulassen, mich für Dinge zu interessieren, Kämpfe wieder anzugehen, wieder Texte zu lesen, die länger als 280 Zeichen sind. Wie das in Zeiten der sozialen Medien auf eine gesunde Art funktioniert, weiß ich noch nicht. Aber ich weiß, dass Verdrängung auch nicht die richtige Lösung für mich ist. „No politics – no pain“ funktioniert eben nur bedingt. Es gibt trotzdem Pain. Und Politik passiert jeden Tag überall, dafür muss ich nur einen Körper haben.

Soziale Kämpfe funktionieren nur, weil es Menschen gibt, die weitermachen, obwohl es so viel ist, obwohl es oft weh tut, obwohl es kaum Fortschritte gibt, nicht nach zwei, nicht nach zehn und auch nicht nach fünfzig Jahren. Das ist nicht selbstverständlich, und dass es Zeit für Pausen geben muss, oder dass diese Arbeit nicht das richtige für jeden Menschen ist, oder für Menschen unterschiedlich aussehen kann, ist völlig in Ordnung.

Ich versuche mich nicht dafür zu schämen, dass ich erst langsam wieder in die Welt der Nachrichten und Informationen einsteige und die letzte Bahnfahrt statt für diesen einen Podcast nun doch bloß zum Musik hören genutzt habe. Denn Scham blockiert bloß und schafft nie einen guten Nährboden für Veränderungen. Stattdessen versuche ich zu akzeptieren, dass ich wahrscheinlich nie so informiert sein werde, wie ich es gerne wäre und dass das okay ist. Aber eben auch, dass nur weil ich jetzt gerade solche Schwierigkeiten mit aktivistischer Arbeit habe, das nicht heißt, dass ich nicht wieder einen Zugang dazu finden kann.