Feministische Familiensprechstunde von Josephine Apraku

Unser*e Kolumnist*in über die Erschöpfung von Eltern und darüber, dass Kinder kein Privatvergnügen sind.

Ich habe vor Kurzem erschreckend viel Geld dafür ausgegeben, zu erfahren, was eigentlich und wirklich mit mir los ist. Meine Hormone machen, was sie wollen – nicht, was sie sollen. Ich bin derart erschöpft, dass es mir im tiefsten Inneren unmöglich erscheint, mich außerhalb des Bettes zu bewegen. Ich muss mich anstrengen, um Gesprächen zu folgen, und ich habe Schwierigkeiten, Worte zu finden, die ziemlich alltäglich sind. Natürlich weiß ich im Grunde schon vor den Tests selbst, dass ich wahrscheinlich schlicht die inoffizielle kapitalistische Ehrenplakette verdiene, sprich, ich ein Burn-out habe. Tatsächlich bestätigen ungefähr das auch die Ergebnisse der verschiedenen Labortests, die ich habe machen lassen: Denn erst, wenn ein Arzt (Absicht!) das bestätigt, dann ist es auch echt. Alles andere davor ist, im besten Fall, ein Hirngespinst.

Ich bin damit nicht allein – the parents are not alright. Auf Insta tauschen meine Freund*innen und ich lustige Reels aus. Das ist unsere sehr müde Form der Kommunikation, „sieh mal, das ist lustig, musste ich an dich denken“, mehr ist nicht drin. Auf Insta können wir über Reels lachen, in denen Eltern die Nerven verlieren, weil ihre Kinder innerhalb von vier Wochen ein drittes Mal – ja, ich finde auch beeindruckend, dass das überhaupt möglich ist – neu krank werden. Im echten Leben ist das nicht so mega lustig. Im echten Leben ist das vor allem für Eltern krass anstrengend, weil ständig alles neu geplant werden muss. Im echten Leben heißt das oft auch Nächte mit sehr wenig und sehr schlechtem Schlaf. Im echten Leben müssen wir Geld verdienen und schleppen uns auch krank zur Arbeit. Im echten Leben ist Auskurieren oft nicht realistisch und mit Kindern im Haus nur dann erholsam, wenn sie fremdbetreut werden. Im echten Leben hat der Krankenstand in diesem Winter ein Rekordhoch erreicht.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.
© Bär Kittelmann

Wenn Eltern von Erschöpfung sprechen, dann nehmen viele Menschen an, dass es sich um ein subjektives Gefühl handelt, vielleicht auch eine besondere Art der Müdigkeit. „Erschöpft“ ist tatsächlich auch ein körperlicher, ein biologischer Zustand, einer, bei dem die Reserven des Körpers zusehends aufgebraucht werden, bis sie, wie eine Quelle, gänzlich versiegen. Ausgebrannt sein heißt, leer sein, heißt, aus dem Nichts zu schöpfen, heißt, sich schneller abzunutzen, als es sein müsste – sein sollte. Dass ein paar Jahre Pandemie und eine Politik von und für Leute, die das „mittlere Alter“ bereits überschritten haben, nicht hilft, erkläre ich jetzt nicht ausführlicher.

Was ich aber am schärfsten finde, sind die Leute, die sagen, „aber das hast du dir doch ausgesucht“. Ich wüsste gern, was genau ich mir ausgesucht habe? Eine Politik, in der Typen wie Lindner meinen, dass die Elternzeit der wohl beste Zeitpunkt zum Schreiben eines Buches ist? Eine Pandemie, die in meinem Fall bedeutet hat, ein Jahr länger als geplant ohne Kita auszukommen? Das Patriarchat und der ganze Stress, den das zusätzlich zur Sorgearbeit für Sorgearbeit bedeutet? Eine Gesellschaft, die Kinder scheiße findet? Die Wahrheit ist, dass ich mir nix davon ausgesucht habe und dass ich es nicht hätte „besser wissen müssen“. Denn wie es ist, ein Kind zu haben, weiß nur eine Person, die Sorgearbeit für ein Kind leistet. Alles andere ist Spekulation.

Das Problem ist, dass in einem kapitalistischen System keine Zeit bleibt, um irgendetwas aufzufüllen. Das hat auf individueller Ebene nichts damit zu tun, wie gut oder wie viel besser Menschen ihre Zeit planen und einteilen können. Es ist schlicht nicht genug Zeit zwischen Lohnarbeit und Care-Arbeit, um sich um die eigenen, oft grundlegendsten Bedürfnisse zu kümmern: Essen, schlafen, Bewegung und der Austausch mit anderen Menschen.

Es ist absurd, dass Kinder als privates Vergnügen betrachtet werden. Das sind sie nicht. Kinder sind Teil einer Gesellschaft, kein Luxusauto. Kinder zu haben ist kein Privatvergnügen. Ich möchte hier gar nicht tief in die Diskussion eintauchen, deshalb ein Wort: Generationenvertrag. Was denkst du denn, wer mal deine Rente bezahlt und wer dich später pflegt? Es sind die Kinder völlig ausgebrannter Eltern, die die Gesellschaft über Ewigkeiten hinweg angefleht haben – mal mit mehr, mal mit weniger Feuer in den Augen –, solidarisch zu sein und Kinder als Menschen zu betrachten, die nicht scheißegal sind.

Ich würde hier gern etwas Tiefsinniges schreiben. Dazu bin ich zu müde, denn es ist schon spät am Abend und ich presse diesen Kolumnentext rein oder besser gesagt aus mir raus, weil ich es wichtig finde, zumindest nicht schweigend unterzugehen.