Loud’n Jewcy von Debora Antmann
Illustration: Anna Beil

Jüdisch ist keine Sprache. Or is it? Zu fragen „sprichst Du Jüdisch?“ ist ungefähr so, wie zu fragen „sprichst Du Lesbisch?“. Und um ehrlich zu sein: ja tu ich. Ich nehme also meine gebetsmühlenartige Antwort „Jüdisch ist keine Sprache“ – die meisten Menschen meinen entweder Hebräisch oder Jiddisch, aber meistens Hebräisch – zurück! Ich spreche Jüdisch! Und die meisten anderen jüdischen Menschen, die ich kenne auch. Jüdisch ist die Sprache, die jede*r von uns gerade spricht, ergänzt oder vielleicht eher transformiert durch verschiedene Schichten von „Insidern“. Bewusste und unbewusste Kommunikations- und Sprachwelten, die welche Sprache wir auch immer gerade sprechen verwandeln – in Jüdisch. „Insider“ auch deswegen, weil nichts davon passiert für andere, oft nicht mal für andere sichtbar. Es ist von uns, an uns, manchmal in uns.

Es ist das Zusammenziehen unserer Muskeln, wenn jemand einen antisemitischen Witz macht und alles lacht, das Bände auf Jüdisch spricht. Das etwas dagegen Sagen, genauso wie das Nichts-Sagen, das Auflösen in der Unsichtbarkeit, tun wir auf Jüdisch. Unsere Eltern und Großeltern schweigen auf Jüdisch. Sie bringen uns auf Jüdisch bei nicht zu erzählen wer wir sind, was wir sind. Das große Geheimnis um unser Jüdisch-Sein auf Jüdisch. Wir streiten uns auf Jüdisch. Vielleicht bemerken andere den Unterschied nicht. Ich kann ihn hören, sehen, fast schmecken. Wir entschuldigen uns auf Jüdisch. Für unsere Existenz. Für Bedürfnisse. Für Scheitern. Vielleicht interessiert andere der Unterschied nicht. Ich kann ihn spüren. Wir bitten auf Jüdisch. Vielleicht ist es für andere selbstverständlich. Ich kann es nicht mehr ertragen.

© Anna Beil

In meinem Fall ist Jüdisch meine Muttersprache. Mein Vater spricht Deutsch. Sehr sehr Deutsch. Auch wenn diese Aussage sein linkes Selbstverständnis kränken würde. Jüdisch ist meine Muttersprache. Meine Mutter hat Jüdisch gesprochen. Mit ihr wurde Jüdisch gesprochen. Generationen sprechen Jüdisch miteinander. Geben die Sprache, die keine ist, die aus Worten und Konsonanten besteht, weiter. Vielleicht ohne es zu merken. Die meisten kann ich nicht mehr fragen. Mütterlicherseits kenne ich nur die Frauen in meiner Familie. Sie alle sprechen Jüdisch. Haben Jüdisch gesprochen. Vielleicht wissen sie, dass sie Jüdisch sprechen. Sprachen. Wenn sie mir Gutenachtgeschichten erzählt haben. Wenn sie mir die Haare gekämmt oder die Schuhe zugebunden haben. Wenn sie mir erzählt haben, was ich zu tun und zu lassen habe. Alles auf Jüdisch. Sie haben sich für einander verantwortlich gefühlt und waren von einander enttäuscht. Beides in lautstarkem Jüdisch. Jüdisch hat unterschiedliche Dialekte. Dass wir Jüdisch sprechen, heißt nicht, dass wir uns immer alle verstehen. Ich träume auf Jüdisch. Ich denke auf Jüdisch. Ich schreibe auf Jüdisch. Dieser Text ist auf Jüdisch. Vielleicht erkennen andere den Unterschied nicht. Aber wir, wir schon. Lesen auf Jüdisch. Fühlen auf Jüdisch.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Es ist meine letzte Kolumne auf Jüdisch für Missy.
Wundervolle 5 Jahre.
Vielleicht geht es irgendwann wo anders weiter. Auf Jüdisch. Aus Liebe für Euch und (m)eine Muttersprache.