Hä, was heißt denn Gaslighting?
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Von Senami Zodehougan
In einem alten Theaterstück von Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938 will sich ein Mann an seiner Frau finanziell bereichern und dreht jeden Abend die im Wohnzimmer stehende Gaslampe minimal herunter, so- dass es dunkler wird. Die Frau denkt, dass sie den Verstand verliert. Der Begriff „Gaslighting“ stammt aus dieser Erzählung und beschreibt eine Form von Manipulation, also psychischer Gewalt, die meist in Beziehungen mit ausgeprägter emotionaler Nähe vorkommt und darauf abzielt, die Realitätswahrnehmung einer Per- son zu untergraben und dadurch letztlich Macht auszuüben.
Mittlerweile wird Gaslighting fälschlicherweise häufig fast synonym zu „nicht einer Meinung sein“ verwendet, was eher zu Schuldzuweisungen führt als zu Lösungen von Uneinigkeiten. Aber was ist der Unterschied zwischen Missverständnis, Konflikt und Gaslighting?
Nicht jeder Konflikt ist Gaslighting, aber Gaslighting entsteht in den meisten Fällen aus Konflikten und selten mit der bewussten Absicht, das Gegenüber in den Wahnsinn zu trei- ben, sondern meist aufgrund eines dysfunktionalen Umgangs mit eigenen Unsicherheiten. Gaslighting in Beziehungen funktioniert z. B. dadurch, dass Person A, um Kontrolle (zurück) zu erlangen, die Wahrnehmung von Person B infrage stellt, ihr falsche Tatsachen vorgaukelt oder einen unverhältnismäßigen Streit provoziert, auf den sich Person B einlässt, weil dieser ein konfliktfreies Miteinander wichtig ist. Person A ist aber gar nicht an einer Lösung interessiert, sondern wird feindselig, was Person B dazu bringt, Person A aus Überforderung zuzustimmen oder zumindest die eigene Wahrnehmung so zu hinterfragen, dass es sie verwirrt zurücklässt.
Gaslighting kann sich konkret gegen Personen richten, aber auch eine Strategie zur Vermeidung von angstmachenden oder überfordernden Themen sein. In Beziehungen, in denen konstruktiv kommuniziert wird, werden Uneinigkeiten ausgetragen, indem z. B. Bedürfnisse formuliert und Kompromisse getroffen werden. Gaslighting dagegen beruht auf einseitiger Machtausübung und dient somit vielmehr der Kontrolle als der Problemlösung.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene funktioniert Gaslighting, etwa, indem marginalisierte Gruppen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zum Schweigen gebracht werden. Racial Gaslighting bspw. findet dann statt, wenn BIPoC das Erlebte abgesprochen wird oder ihre Erfahrungen infrage gestellt werden: „Bist du dir sicher, dass die Person wirklich dich gemeint hat?“; „Das war doch gar nicht so gemeint!“ und der Klassiker: „Ich finde nicht, dass das rassistisch war.“ Diese Art von gesellschafts- politischem Gaslighting passiert zwischen Personen, aber geht auch von staatlicher Seite aus. So wurde bis zur öffentlichen Bekanntwerdung des NSU im Jahr 2011 ein rechtsextremer Hintergrund der Mordserie von den deutschen Behörden „weitestgehend ausgeschlossen“, es wurde nach Täter*innen im Umfeld der Opfer gesucht und die Morde wurden durch rassistische Bezeichnungen ins Lächerliche gezogen. Wären die Betroffenen von Anfang an ernst genommen worden, hätten womöglich Leben gerettet werden können.
Ob nun auf gesellschaftlicher oder zwischenmenschlicher Ebene, in allen Beziehungen spielen Kontrolle und Macht eine Rolle und es ist wichtig, dass wir diese Mechanismen sichtbar machen, um sowohl Unbewusstes bewusst zu machen, als auch Ungerechtigkeit und Manipulation offenzulegen und zu bekämpfen.
Dieser Text erschien zuerst in Missy 02/23.