Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand – egal, welchen Geschlechts – jemals ein Vorbild für mich war. Jedenfalls keine namhafte Persönlichkeit und nicht eine Person. Ich fand Menschen in bestimmten Situationen anregend oder ich fand ihre Stärke, ihren Humor, ihre Ungebundenheit begeisternd und wollte mir gern „eine Scheibe davon abschneiden“, aber das passierte immer wieder bei ganz unterschiedlichen Personen.

Schon aus dem anarchistischen Milieu entwachsen, entdeckte ich Anfang der 1980er-Jahre die Autobiografie Emma Goldmans. Emma wurde nicht mein Vorbild (dafür war ihre Taille zu schmal geschnürt und ihre öffentliche Redekraft zu vehement), aber sie beeindruckte mich und etliche Frauen meiner Umgebung durch die Freiheit und Eigenwil- ligkeit ihres Lebens und die Offenheit ihres Berichts. 1978 erschien der erste Band, dem zwei weitere folgten, im anarchistischen Karin Kramer Verlag. Übersetzt wurde dieses vo- luminöse Stück Erinnerung von drei Frauen (Marlen Breitinger, Renate Orywa, Sabine Vetter), keine von ihnen professionelle Übersetzerin. Aber sie waren überzeugt, dass diese Erinnerungen auf Deutsch verfügbar sein sollten.