Hypertext von Zain Salam Assaad

 „Hypertext” ist das Produkt aller möglichen Memes und Sad Songs des letzten Jahrhunderts. In dieser Kolumne beschreibt Zain Salam Assaad mal satirisch, mal ganz ernst, wie sich Exil, Popkultur und Weltgeschehen zwischen dem Mainstream und am Rand der Gesellschaft bewegen – zwischen Pass und Smash. Dazu teilt Zain Memes oder eigene Mood-Playlists.

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Fancy klingt es, wenn man dich nach deinem Beruf fragt und du langsam und sehr knapp „Ich arbeite im Journalismus“ antwortest. Die Geschichten und Antworten, die ich jedoch gerne auf diese Frage hören würde, sind über unbezahlte Praktika, so gut wie nicht bezahlte Aufträge und Tagessätze, die gerade mal für den Wocheneinkauf reichen. In den letzten Wochen tweeteten mehrere Journalist*innen und freie Autor*innen ihre Honorar- und Gehalt-Insider. Freie Journalistin und Autorin Laura Ewert stieß die Debatte an und teilte, dass sie insgesamt 110 Euro für das Schreiben eines Kulturaufmachers inklusive Ausstellungsbesuch und Interview vom „Tagesspiegel“ bekommen hatte. Ich dachte lange, das seien nur Kleinverlagspreise. Ich saß also in meiner Küche, aß Sonnenblumenkerne und dachte ganz fröhlich an meine Zukunft – nicht. Ich hatte solche absurden Gedanken wie: Menschen, die im Medienbereich arbeiten, haben auch ein Leben, müssen Rechnungen zahlen, ein Dach über dem Kopf haben und sind dann gezwungen, solche Luxusgüter wie Hafermilch vom Discounter zu kaufen. Wie soll das gehen?

Zain Salam Assaad

Zain Salam Assaad studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig. Heute arbeitet Assaad als frei*e Journalist*in und Übersetzer*in, insbesondere für die Themen LSBTIQ*-Rechte, Migration und digitale Trends, wobei dey immer Dinge in einen Kontext setzt. In der Freizeit beschwert dey sich gerne über das Wetter in Deutschland, toxische Netzkulturen und empathiefreie Debatten.

Ich kenne es nur anders von sogenannten Studi-Jobs, in denen man für das Sammeln von Arbeitserfahrung gerne alles macht, um irgendwann mal an ein gutes, nicht honoriertes oder unterbezahltes Praktikum zu kommen. Bereits letztes Jahr fungierte ich in meiner Position als Diversity-Ausstellungsstück ohne Funktion in einem unbezahlten Praktikum in einem renommierten Medienhaus. Endlich! Dafür habe ich die letzten Jahre lang gearbeitet und gespart, damit ich so eine gute Chance wahrnehmen konnte. Jetzt stehe ich da mit vielen Job-, Volontariat- und Master-Bewerbungen und bin ganz überwältigt, weil ich immer noch überzeugen muss, dass ich viel kann und dafür gleichermaßen viel getan habe. Dabei zählt jedoch oft nicht, was ich sonst gemacht habe, obwohl ich studiert und viel gejobbt habe. Gefragt werde ich, ob ich nur über Identität schreiben kann. Mit Zweifel frage ich immer zurück, ob ich das darf. Schließlich möchte ich kein mediales Momentum repräsentieren, sondern von erfahrenen Kolleg*innen lernen, meinen Senf dazu abgeben und dabei die Cents für die Miete nicht akribisch abzählen müssen. Was noch oft vergessen wird: Die Aussicht auf einen Job ist nicht derselbe Wunsch nach einem Job mit Aussichten, der auch finanzielle Sicherheit bietet (siehe Honorare für freie Autor*innen).

© Viki Mladenovski

Such dir doch einen ordentlichen Job

In den Kommentaren der Tweets über die Medien-Honorare wunderten sich viele, warum man für so wenig Geld arbeiten würde. Andere schlugen vor, dass man sich doch einen ordentlichen Job suchen sollte. Der Journalismus als Beruf ist wie die Schrödinger-Katze. Die Katze ist in einer verschlossenen Box und könnte tot sein. Unklar ist, ob sie tot oder lebendig ist, bis man die Box wieder aufmacht. Der Journalismus mit seinen Umwegen glänzt, weil er Verantwortung und Selbsterfüllung darstellt. Fraglich ist, ob der Glanz echt ist oder nicht, bis man sich damit beschäftigt. Für mich liefen die letzten Bewerbungsgespräche nicht gut. Ich wurde eingeladen. Manchmal bekam ich sogar einen Job. Das Problem war, dass es entweder hohe Erwartungen und sehr wenig Geld oder komische Vorurteile mir gegenüber gab. Letzteres schloss die Vorstellung ein, dass ich nicht objektiv arbeiten könne, weil ich viel mit Initiativen für Geflüchtete gearbeitet habe. Man wünscht sich Diversität, jedoch gefiltert und bitte in Maßen.

Viele, die eine glatte Laufbahn haben, rutschen automatisch in gute Medienjobs. Ich habe mit manchen studiert oder gearbeitet. Sie sind ganz woanders, werden mit großen Projekten oder Leitartikeln überhäuft. Manche haben Unterstützung von den Eltern gehabt, geerbt, Stipendien erhalten oder zumindest Bafög bekommen. Das ist nicht selbstverständlich für alle. Ich hätte selbst ohne Stipendium und Arbeit am Wochenende nie mein erstes Praktikum geschafft. So geht es aber vielen und nicht nur mir. Bildung, Erfahrung und Noten unterscheiden mich von den anderen Bewerber*innen allgemein kaum. Doch Arbeitgeber*innen entscheiden letztendlich, in wen sie investieren und wem sie das Weiterkommen ermöglichen wollen. Nebenbei muss ich bis heute erklären, dass ich gut Deutsch sprechen kann. Das tue ich übrigens mit viel weniger Akzent als Angela Merkel, wenn sie Englisch gesprochen hat. Akzente müssen normalisiert werden und Ansprüche der Medien transparent gemacht werden. Alles andere ist scheinheilig.

Wenn eine marginalisierte Person es schafft, etwas für sich in der Medienwelt zu ändern, wirkt sich das nicht automatisch für alle anderen marginalisierten Menschen aus. Das wird oft überspitzt dargestellt und romantisiert. In den Jobinterviews werden die Erfahrungen dieser Personen oft zu einem Vergleichsmaßstab. Einzelfälle können jedoch nicht die neue Norm sein. Erfolgsgeschichten von Marginalisierten sind inspirierend, nun können sie alleine den Aufstieg durch einen individuellen Erfolg aufzeigen. Diese Erfolge führen nur begrenzt zu einer Änderung in den Auswahlverfahren oder in den Umständen eines Berufs. All diese Erfolge haben Anerkennung verdient. Das haben auch die ganzen Hürden für Einsteiger*innen. Was eine Person verdient, was eine Person schon hat und wer eine Person ist, wird im Journalismus oft gleichgestellt. Angemessen bezahlt zu werden, ist keine reine Diversitätsfrage, sondern eine unumgängliche Maßnahme, um auf alle Lebensumstände gerecht eingehen zu können.

Wer sind die „echten“ Journos?

Journalist*in kann jede*r in Deutschland sein. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Somit soll uns Meinungsfreiheit garantiert werden. Allerdings bleibt das Berufsbild etwas unklar. Darüber beschweren sich allerdings nicht nur Hochgebildete in großen Büros, sondern auch andere, die vielleicht eher im Hintergrund oder in weniger anerkannten Medienbereichen arbeiten. Es geht darum, ernst genommen zu werden, Zugänge zu schaffen und finanzielle Rahmen von Beschäftigungen definieren zu können. Für angehende Journalist*innen und Einsteiger*innen wird die Berufsfrage oft und schnell zu einer existenziellen Sache: Darf ich? Bin ich? Ab wann?  Geht es um die Ausbildung, die Einkünfte oder die Reichweite? In meinem Kopf spielt sich bei den Fragen nur eine Zeile von Shirin David ab: „Ob ich darf? Ja, ich darf das Pech.“

Journalismus an sich ist aber viel breiter als Nachrichtenjournalismus. Wer für ein Lifestyle- oder Automagazin arbeitet, ist ebenfalls Journalist*in. Das Gleiche gilt für diejenigen, die Trends, Filme oder gewisse Produkte rezensieren, wo eine differenzierte Meinung gefragt ist. Es ist natürlich schwer zu navigieren, wenn alleine in Deutschland zig Formate auf Social Media und Tausende von Podcasts existieren. Geht es um Professionalität? Der Fall von Claas Relotius – oder besser gesagt von dem Leitmedium „Spiegel“ mit den gefälschten Recherchen – signalisiert da was anderes. Handelt es sich um die große Frage der Macht und des Geldes? Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger kann dazu mehr erzählen. Und nun beschäftigen wir uns mit der Art der Anstellung: Wer sind echte Journalist*innen? Feste oder freie? Nepo-Babys aka Promikinder? Ich drücke mich vor den Antworten, weil ich nicht denken mag, dass die echten Journalist*innen nur solche aus stabilen ökonomischen Verhältnissen sind.

Yey! Ausbeutung für alle!

Soll der Journalismus diverser werden? Diese Frage wird zu Recht gestellt. Talente sollen gefördert werden, doch nur alle, die Glück haben, bekommen ein Stück von der Medientorte. Traumhaft, oder? Nun stellt sich eine andere Frage: Wie ausbeuterisch darf Diversität sein? Wie divers kann ein ausbeuterischer Journalismus überhaupt sein?