Nicht binärer als gedacht
Kolumnist*in:
Mit lesbischen Grüßen von Felicia Ewert
Felicia Ewert schreibt über verschiedene Themen aus queerfeminisitischer, lesbischer Perspektive, die sie oft mit internationalen Ereignissen verknüpft, um den Blick zu erweitern. Gleichzeitig schreibt they autobiographisch, persönlich, emotional, um einen direkten Bezug für Außenstehende herzustellen.
Es ist Mai 2022. Ich verlasse genervt den Supermarkt. Ich bin genervt, weil Leute keinen Abstand halten und ich wahrscheinlich mal wieder schlecht geschlafen habe. Dem Kapitalismus und schlecht kommunizierenden Datingpersonen sei Dank.
Ein Typ, ein sehr freundlicher Typ – ja, sage ich extra dazu wegen special moment im Patriarchat – steht am Ausgang und sagt euphorisch:
„Schöne Frau, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag!“
Ich werde abrupt aus meinem Gedankentunnel geholt und blicke auf. Ein lächelndes „Danke und ebenso!“ ist alles, was ich in dem Augenblick entgegnen kann.
Ich gehe irritiert, aber mit einem Lächeln davon. Ein positiv irritiertes Lächeln quasi. Wieder in meinen Gedanken fallen mir unzählige Situationen aus den Jahren davor ein, in denen meine Stimme verstummt wäre, weil „sicherlich zu rau und einschüchternd für ’ne Frau“. Wir kennen es, wir hassen es. Unzählige Situationen Jahre zuvor, in denen ich penibel auf Kleidung, Mimik, Gestiken, Körperhaltung achtete, damit ich nicht misgendert werde. Die Jahre seit meinem Coming-out ließen mich diese Sicherungsmechanismen sehr tief in meinem Hirn einbrennen. Obwohl ich tatsächlich nur wenige bedrohliche Situationen diesbezüglich erleben musste. Zum Glück.
Als „Frau“ einsortiert zu werden, bedeutet bei meiner Historie erst mal „Sicherheit“. So viel „Sicherheit“, wie du in misogynen Strukturen halt haben kannst, da will ich ja gar nicht kleinlich sein. ZwinkyZwonky. Auch wenn jetzt das „Ey Süße“, „Hübsches Mädel“ oder gerne auch „Miese Fotze“ und „Widerliche Lesbe“ nicht fern sind. Das Patriarchat hält ja gleich alle weiteren Beschimpfungen bereit, wenn ich es als irgendwie feminin auftretende und einsortierte Person wage, in der Öffentlichkeit zu existieren.
Was diesen Moment so speziell für mich persönlich machte, ist die Tatsache, dass damit ein wenig Durchatmen einherging. Doch seit geraumer Zeit fühle ich ein dezentes Unbehagen aufkommen, wenn ich von Fremden als Frau bezeichnet werde. Ein „Das ist es irgendwie nicht ganz“.
Damit fahren seitdem noch größere und schnellere Gedankenkarusselle in meinem Kopf an:
„Felicia, was denn nun? Nach allem, was du durchgemacht und durchgestanden hast, jetzt plötzlich doch nicht-binär?!“
„Du weißt, welche Gefahr das bedeutet, wenn du sagst, dass du nicht-binär bist?“
„Wie gehst du damit um?“
„Darfst du das?“
Jahre vorher sprach ich mit einer Freundin darüber. Sie sagte: „Ich hatte irgendwann keinen Bock mehr, es ständig erklären zu müssen. Es hört eh niemand darauf oder respektiert es. Ich kam an den Punkt ‚Ja, okay, bin halt ne Frau‘ zu sagen.“
Rückwirkend fühle ich das sehr und ich fühle mich damit sehr gesehen und verbunden.
Doch sprachen wir aus unterschiedlichen Perspektiven. Also ohnehin, da wir zwei verschiedene Menschen sind. Aber sie galt eben ihr Leben lang in allen Kontexten als Frau und „weiblich“. Ein Umstand, den ich mir erst sehr hart und schmerzlich, im wahrsten Sinne, erarbeiten musste. An dem Punkt angekommen merkte ich: My goodness, das ist nicht das Ende des Weges. Next Persönlichkeitsentwicklung incoming!
Zur Frage, wie ich damit umgehen soll: Es gibt keinen Masterplan. In bestimmten Kontexten widerspreche ich nicht, wenn ich als Frau bezeichnet werde. Ärzt*innenpraxen, Ämter oder eben ein liebevolles „Miese Fotze“, was ich maximal mit einem „Oh, dankeschön, es stimmt!“ kommentiere.
Ich bin rechtlich eine Frau. Sogar rechtsstaatlich geprüft. Mit Gütesiegel der Bundesrepublik Deutschland. Großer Erfolg. Auch wenn mir bis heute die Anerkennung meiner Mutterschaft verweigert wird. Deutsches Abstammungsrecht macht es möglich.
Ich werde als weiblich einsortiert, wenn ich Räume betrete, über die Straße gehe, im Späti ein Pils auf den Tresen stelle. Das ist der Zustand, den ich wollte, und es erfüllt mich mit Glückseligkeit.
Aber viel lieber möchte ich in einer Welt leben, in der ich einfach Felicia sein kann.
Das Label „Lesbe“ wurde im Lauf der Zeit für mich zu einem größeren Identifikationsmoment als das Label „Frau“.
Auch wenn es mich mit Datingpersonen oftmals in einen Konflikt warf. Weil ich mir und ihnen immer wieder die Frage stellte, ob mein Label als Lesbe mit ihren eigenen geschlechtlichen Identitäten im Konflikt stehen könnte. Z. B. wenn sie auch nicht-binär sind. Ich verspürte immer schnell den Drang und das Verantwortungsgefühl, dies zu klären. Macht das auch Leute, ist wichtig.
Dennoch sind Labels kein starres, in Eisen gegossenes Manifest. Sie sind fluide, wandelbar, erweiterbar. Nein, eure Wikipedia-Definitionen, Thomas und Steffi, sind nicht bindend. Tschatsching-Tschatsching.
Weshalb ist mir der Begriff „Lesbe“ so wichtig?
Er strahlt für mich Härte und Widerstand aus, aber auch unendliche Zartheit, Umsichtigkeit, Empathie, Emotionalität und Zerbrechlichkeit. Alles, was ich selbst bin. Alles, was ich immer sein wollte.
Härte dem System und den Strukturen, unendliche Zartheit allen liebevollen Menschen, denen ich begegnen durfte, gegenüber. Auch wenn ich meinen eigenen Ansprüchen dennoch nicht immer gerecht werden kann. Verzeiht bitte, ich wachse.
Historisch fand der Begriff bei Menschen Einzug, die sich nicht als Frauen bezeichneten oder bezeichnen lassen wollten. Also, lesbisch zu sein heißt, nicht zwingend, eine Frau zu sein, und erfordert keine so bezeichnete „Weiblichkeit“. Wir können einfach alles sein. Ist das nicht wundervoll?
Ich will lachen, ich will frei sein, ich will lieben, ich will leben. Und das werde ich mir von keinem Menschen mehr nehmen lassen.
Hier bin ich. Ich bin Felicia, ich bin lesbisch, ich bin nicht-binär.
Macht diesen Umstand nicht zu meinem Problem, sondern macht das mit euch selbst aus.
Mit lesbischen Grüßen <3