Hypertext von Zain Salam Assaad

 „Hypertext” ist das Produkt aller möglichen Memes und Sad Songs des letzten Jahrhunderts. In dieser Kolumne beschreibt Zain Salam Assaad mal satirisch, mal ganz ernst, wie sich Exil, Popkultur und Weltgeschehen zwischen dem Mainstream und am Rand der Gesellschaft bewegen – zwischen Pass und Smash. Dazu teilt Zain Memes oder eigene Mood-Playlists.

Oft erlebe ich die Situation, dass eine Person sich über ihren Job beschwert und andere mit einem „bei mir ist noch schlimmer“ unterbrechen. Sei es von der Eltern- oder Großelterngeneration oder mit Gleichaltrigen. Es ist schwer zu erkennen, ob es um Stress als Statussymbol oder um die tatsächlichen Missstände in der Arbeitswelt geht. Scheinbar tendiert der Trend offiziell zu: Gestresst sein ist cool. Arbeitende bewegen sich im Auge der Gesellschaft auf einem Spektrum zwischen Mut und Abwehrhaltung. Mutig ist man, wenn man sich für einen beruflichen (Neu-)Anfang entscheidet. Mutig ist man auch, wenn dieser Anfang in einem neuen Land stattfindet. Als Abwehrhaltung gilt es hingegen, wenn man sich über Arbeitsverhältnisse beschwert oder nicht so arbeitet, wie es gewünscht ist. „Erst machen und dann Fragen stellen“, heißt es immer wieder. Keine gute Einarbeitung oder intransparente Kommunikation und Gehaltsstrukturen machen einen Job nur prekärer, als er sein sollte. Diese Prekarität wird mal mit so was wie dem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt begründet – oder mal durch Schicksal. Hauptsache, man muss keine Verantwortung für Missstände und Fehlkommunikation auf der Arbeit übernehmen. Alle haben es schwer, angeblich auch gleich schwer, und daher sollte man die Stimmung nicht runterziehen. Im besten Fall strahlen wir alle nur Dankbarkeit und Loyalität aus, weil wir es besser haben als die undefinierbaren Anderen.

„Existence precedes essence“?!

Zain Salam Assaad

Zain Salam Assaad studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig. Heute arbeitet Assaad als frei*e Journalist*in und Übersetzer*in, insbesondere für die Themen LSBTIQ*-Rechte, Migration und digitale Trends, wobei dey immer Dinge in einen Kontext setzt. In der Freizeit beschwert dey sich gerne über das Wetter in Deutschland, toxische Netzkulturen und empathiefreie Debatten.

Mit diesem Satz argumentierte der Philosoph Jean-Paul Sartre die Selbstverantwortung eines Menschen für die eigene Freiheit und somit für das Gemeinwohl. Im Kontext der Geschichte und des heutigen Arbeitsmarkts ist dieser Satz fast wie „selbst schuld“ zu übersetzen, obwohl das eventuell nie damit gemeint war. Das kann leicht so umgedeutet werden: Man soll Verantwortung übernehmen und das eigene Leben bewusst gestalten. Das klingt nach Selbstoptimierungstrends auf TikTok, die unter #productivityhacks oder #morningroutine verbreitet werden. Solche Trends können vielleicht stabilisierend wirken, aber kaum Veränderung in Bezug auf die Lebensrealität eines Menschen verursachen.

Wenn Menschen Chancen auf Aufstieg und Geld haben und sich das wünschen, wird in der Arbeits- und Sozialforschung von „Hope Labor“ gesprochen. Der Begriff beschreibt die Bereitschaft, freiwillig unbezahlte Arbeit zu leisten in der Hoffnung, dass sich künftig etwas Gutes daraus ergibt. Das versteht sich wie eine „Einstiegsdroge“ für Karriere, Erfahrung und Geld. Doch muss diese Hoffnung mit der Realität zusammengedacht werden. Im Fall von Journalismus sind Vorbehalte, steigende Angriffe und ein ständiger Kampf um Selbstbehauptung relevante Anhaltspunkte bei der Berufswahl. Reporter ohne Grenzen haben Deutschland sogar dieses Jahr von Platz 16 auf 21 in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit zurückgestuft, insbesondere aufgrund der körperlichen Angriffe auf Journalist*innen.

Wie soll das allerdings sonst heißen, wenn Menschen nach Europa migrieren oder unter den schlechtesten Bedingungen in Saudi-Arabien und Qatar arbeiten? Hope Immigration?  Prekarität und Klassismus werden oft mit Erfahrungen der aufsteigenden Mittelschicht assoziiert. Arbeit und Stress sind nur dann Statussymbole, wenn man reich wird. So begleiten Phänomene wie „Hope Labor“ die Lebensumstände der Aufsteigenden. „Sind wir nicht alle Mittelschicht?“, kommentierte mal eine Kommilitonin, als es einmal im Seminar um den Einfluss von Klassenzugehörigkeit auf den Journalismuseinstieg ging. Bei all diesen Fragen bleibt unklar, ob wir leben, um zu arbeiten, oder arbeiten, um zu leben.

© Bär Kittelmann

Deutschland, du sexy Arbeitgeber

Viele Lohnarrbeitskulturen haben etwas gemeinsam, und zwar ist es die Selbstverständlichkeit der (Selbst-)Ausbeutung.  Wenn man aus ärmeren Verhältnissen kommt, drückt sich diese Mentalität vor allem in Form von Vererbung aus. Dann ist Arbeit wie ein Film über dich, in dem du aber trotzdem die Nebenfigur bleibst und oftmals nur die nervigen Dinge abbekommst. Noch dazu vermischt sich in der Arbeitsdebatte gern das Stigma der „Wirtschaftsmigration“. Deutschland will mehr Fachleute mit dem neuen „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ aus dem Ausland anlocken. Die Gesetzbezeichnung an sich schreckt mich schon ab, weil sich direkt Auswanderungsfantasien in meinem Kopf abspielen. Man kann sich Tausende solcher Formulierungen ausdenken und merken, doch wie die migrantische Kolleg*in tatsächlich heißt, wird schnell vergessen. Verschachtelte Sätze und Wortkombinationen, die viel sagen und wenig verständlich sind, nerven mich und lösen in mir Machtlosigkeit aus, weil man Deutsch zwar lernen kann, doch die deutsche Bürokratie trotzdem nie beherrschen wird. Laut dem neuen Gesetz möchte man vor allem strategisch fancy ITler*innen oder Ärzt*innen anwerben, die den deutschen Wohlstand retten sollen. Meine erste Reaktion: „Cute, mach mal“. Laut Bundesarbeitsagentur müssten es jährlich 400.000 ausländische Arbeitskräfte sein, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten und perspektivisch zu modernisieren. 2021 waren es allerdings nur 40.000. Oftmals wollen internationale Fachleute eben nicht nach Deutschland auswandern oder lange bleiben. Gründe dafür sind bürokratische sowie soziale Hürden. Die deutsche Geschichte und Gegenwart glänzt ja mit der sogenannten Erwerbsmigration – nicht. Beispielsweise droht der Familie Pham-Nguyễn aus Chemnitz die Abschiebung aufgrund der Loyalität gegenüber Generationen von Arbeiter*innen, die dieses Land mit aufgebaut haben.

Einseitig ist das Verhältnis mit dem Arbeitgeber. Man gibt immer mehr als das, was man bekommt. Die Arbeit bleibt und du gehst, my Friend. Deshalb verstehe ich, dass Menschen nicht hier sterben wollen, weil sie sich nie angekommen fühlen oder nicht genug Geld verdienen, um etwas für die  Rente zurückzulegen. Man wird so systemisch zurückgedrängt. Ja, oft ist es hier besser als da, wo man herkommt – das ist jedoch kein Argument, um Menschen schlecht zu bezahlen oder zu behandeln.

Sexy Immigration

Ist Leistung der einzige Weg, Migrant*innen zu akzeptieren? Setzen Migrant*innen mit Prestigejobs den Maßstab? Für die Esskultur bekommt Deutschland von mir vier von zehn Punkten – für die bayerischen Bretzel und die vegane Currywurst. Für die Arbeitskultur sind das fünf Punkte, weil das Arbeitsangebot in Deutschland vergleichsweise gut ist. Das Zusammenleben verdient nur drei Punkte. Hierfür hätte ich wohl in den vergangenen kurzen sieben Jahren mit mehr Deutschen sprechen müssen, um mir die deutsche Freundlichkeit zu verdienen. Doch auch hundert Jahre in Deutschland reichen wohlmöglich nicht aus, damit mir mein Nachbar mal Guten Morgen sagt.