#ThrowbackFeminism von Hêlîn Dirik

#ThrowbackFeminism behandelt geschichtliche und philosophische Themen aus feministischer Perspektive und stellt die Frage in den Fokus, welche Erkenntnisse wir daraus für aktuelle Kämpfe gegen Patriarchat und Kapitalismus gewinnen können.

Am 05. Juni ist Weltumwelttag. Zu diesem Anlass erscheinen jedes Jahr Beiträge mit „Tipps für mehr Umweltschutz“, in denen an Individuen appelliert wird, ihr Konsumverhalten zu überdenken. Auf der anderen Seite werden organisierte Kämpfe von Umwelt- und Klimaaktivist*innen weltweit kriminalisiert. Während ich das schreibe, finden bundesweit Razzien gegen Aktivist*innen der „Letzten Generation“ statt.  Vor dem Hintergrund dieser Vereinzelung und der Angriffe gegen kollektive Bemühungen möchte ich diese Kolumne zum Anlass nehmen, über die Hauptverursacher der Klimakrise zu sprechen: über den Kapitalismus und die Superreichen. Anstatt an Individuen zu appellieren, kürzer zu duschen, weniger zu heizen oder Autofahren zu vermeiden, sollten wir uns einem viel wesentlicheren Problem widmen. Die Ursache wurzelt im kapitalistischen System, dessen ganzes Fundament grenzenlose Plünderung und Ausbeutung ist. Ein System, das historisch auf Kolonisierung und Raub aufgebaut wurde und grenzenloses Wachstum anstrebt, in einer Welt, die jedoch nur begrenzte Ressourcen hat. Ein System, das ausbeutet und die Erde zerstört, ungeachtet all der alarmierenden Prognosen in Bezug auf die kommenden Jahrzehnte.

© Bär Kittelmann

Die Individualisierung von globalen Problemen wie der Klimakrise, der Überproduktion von Plastikmüll oder der Luftverschmutzung lenkt davon ab, wer sie am meisten zu verantworten hat. Schauen wir uns dazu einige Zahlen an: Eine 2022 veröffentlichte Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam, die die Investitionen von 125 der reichsten Milliardäre analysiert hat, ergab, dass ihr CO2-Fußabdruck etwa den Emissionen von ganz Frankreich (67 Millionen Einwohner*innen) entspricht. Mit durchschnittlich etwa 3,1 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Milliardär verursachen sie über eine Million Mal (!) mehr Abgase als jemand aus den ärmeren 90 Prozent der Bevölkerung im Durchschnitt. Aus einem Bericht des „Climate Accountability Institute“, der 2020 veröffentlicht wurde, geht außerdem hervor, dass zwanzig Unternehmen allein etwa 35 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen zwischen 1965 und 2018 verursacht haben.

Hêlîn Dirik

Hêlîn beschäftigt sich mit revolutionären feministischen Kämpfen und Ideen und ist Herausgeberin des feministischen Newsletters @dengnewsletter. Sie hat Geschichte und Philosophie studiert, lebt und arbeitet in Bologna und Offenbach.

Weitere nennenswerte Zahlen gehen aus einem WWF-Bericht von 2022 hervor, laut dem die G7 – die sieben weltweit führenden Industrieländer, unter denen sich auch Deutschland befindet – historisch für etwa ein Drittel aller globalen CO2-Emissionen seit 1850 verantwortlich sind, während sie nur zehn Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Ärmere Staaten im Globalen Süden sind dagegen am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich und besitzen gleichzeitig die wenigsten finanziellen und technologischen Mittel, um dagegen ankämpfen oder sich zumindest den Folgen der Klimakrise anpassen zu können. Beim Weltklimagipfel 2022 in Ägypten wurde das erste Mal darüber diskutiert und gefordert, dass reiche Industrieländer Reparationen an Länder des Globalen Südens zahlen sollen, die die Auswirkungen der Klimakrise jetzt schon zu spüren bekommen, wie bspw. die Flutkatastrophe in Pakistan gezeigt hat. Frauen sind von solchen Naturkatastrophen besonders betroffen und sterben mit höherer Wahrscheinlichkeit, unter anderem, weil sie häufig Mehrarbeit und Fürsorge leisten und dabei nicht schaffen, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Patriarchale Strukturen bringen sie in Gefahr und setzen sie – bspw. auf der Flucht – zusätzlich sexualisierter oder körperlicher Gewalt aus.

In diesen Zahlen und Verhältnissen offenbaren sich die Kontinuitäten und Auswirkungen eines Systems, das schon vor Jahrhunderten Kolonien plünderte, Land ausbeutete und lokale Versorgungssysteme und Lebensgrundlagen zerstörte. Die gewaltsame Besetzung und Plünderung von Land durch europäische Kolonialisten ging Hand in Hand mit der Vorstellung, dass die Natur „weiblich“ und daher „unberechenbar“ ist und deshalb gezähmt werden müsse. In Beschreibungen von Männern wie Kolumbus oder Vespucci wird die indigene Frau als „zu sexuell“ und „zu dominant“ beschrieben. Kolonialisten brachten nicht nur Zerstörung, Ausbeutung und Leid, sondern auch patriarchale Vorstellungen aus Europa mit. Nicht nur das Land und die Natur, sondern auch Frauen sollten in dieser Vorstellung unterworfen werden.

Heutige Kämpfe gegen das System richten sich also gegen Strukturen, die eine jahrhundertealte Geschichte haben. Die Krise, die dieses System hervorgebracht hat, kann deshalb nicht allein durch die Konsumentscheidungen von Individuen wie dir und mir abgewendet werden. Dass wir uns wegen eines Plastikstrohhalms oder einer Binde schlecht fühlen sollen, während Milliardäre in ihren Privatjets, Yachten und Luxusvillen ihr Leben chillen oder einfach so aus Spaß ins Weltall fliegen, ist lächerlich. Seit Jahren konzentriert man sich zu Anlässen wie dem Weltumwelttag dennoch darauf, dass Individuen ihren persönlichen ökologischen Fußabdruck reduzieren sollen, anstatt den Fokus auf die strukturelle Ebene zu lenken und für einen Systemwechsel einzustehen.

Individuelle Beiträge zum Umweltschutz schaden zwar nicht, doch lenken sie den Fokus weg von den hauptsächlichen Verantwortlichen der Krise sowie von der Notwendigkeit eines kollektiven Widerstands. Und mit kollektivem Widerstand meine ich nicht, alle meine Freund*innen davon zu überzeugen, vegan zu werden oder Menstruationstassen zu benutzen. Ich meine vor allem, dass ein organisierter und massenfähiger antikapitalistischer Kampf nötig ist, um die Erde und seine Lebewesen zu schützen. Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart zeigen uns, dass Menschen sich schon immer gegen Ausbeutung und die Zerstörung ihrer Umwelt und ihrer Lebensgrundlagen gewehrt haben, seien es antikoloniale Bauernaufstände, indigene Widerstände gegen Konzerne oder Waldbesetzungen. In vielen Kämpfen gehen Widerstand gegen Kapitalismus, Patriarchat, Klimakrise und Rassismus Hand in Hand. Vor dem Weltklimagipfel 2021 protestierten etwa indigene Frauen und erklärten, dass Ökozid, Kapitalismus, Feminizid und Gewalt gegen indigene Gruppen miteinander zusammenhängen.

Es ist also klar: Wenn wir gegen die Klimakrise kämpfen, kämpfen wir gegen alle Machtstrukturen. Vor dem Hintergrund, dass es keinen grünen Kapitalismus geben kann, muss ein revolutionärer ökologischer Kampf allerdings nicht nur gegen etwas sein, sondern vor allem für etwas, für eine Utopie, für die es sich zu kämpfen lohnt. Für eine klassenlose Gesellschaft, die sich auf Solidarität, Fürsorge und Selbstversorgungsstrukturen gründet statt auf Ausbeutung, Eigentum und Profit.