Wo sind all die slutty Lesben hin?
Kolumnist*in:
Triple Water 💦 von Evan Tepest
Sex ist immer schon etwas anderes als es selbst. Müssen wir verstehen, was wir begehren? Wo fängt die Lust an und wer entscheidet, was wir hot finden? Von PMS-Sex bis Porn-Gifs, über die juicy Texte der 70er-Jahre Radikalfeminist*innen bis hin zu queeren Heteros – in Triple Water wird es lesbisch, lebensfroh und nur ein kleines bisschen verklemmt.
Es gibt eine neue lesbische Datingshow, auch wenn die sich nicht so nennt. In „The Ultimatum: Queer Love“ (Netflix) haben fünf Paare ein massives Problem: Während eine der Personen heiraten will, ist der*die Partner*in (noch) nicht bereit für den viel beschworenen „next step“. Sechs Wochen lang leben die zehn nicht-binären Menschen und Frauen daher in einer „Versuchsehe“ mit einer neuen Person, bevor sie sich am Ende entscheiden: Verlobung mit Ursprungspartner*in, Beziehung mit der „trial person“ oder Solo-Life? Wie bei jeder guten (queeren) Reality-TV-Show sind die Lesbo-Rollen schnell klar: femmy Overachieverin (Lexi), sporty Mauerblümchen (Rae), Butch mit Commitment Issues (Tiff). Ebenso klar ist, wer der Bösewicht ist. Vanessa steht immer wieder im Mittelpunkt des Dramas. Als Einzige der zehn Lesben ist sie sichtbar erleichtert, aus ihrer monogamen Beziehung ausgebrochen zu sein. Prompt schlägt sie der Gruppe vor, ihre erste Cocktailparty in eine „polyamore Orgie“ zu verwandeln. Der Scherz kommt bei ihren heiratswilligen Mitstreiter*innen nicht gut an. Und als Vanessa (konsensuellen) Sex mit „trial wife“ Rae hat, wird sie vollends verstoßen – nicht, ohne dass ihre Nemesis (und Raes Ex) Lexi Vanessas frische Nipple Piercings als „ekelhaft“ bezeichnet.
Das Ding ist: Vanessa ist nervig. Sie tanzt in unpassenden Momenten, ihre Witze sind schlecht und wenn sie angegriffen wird, gefriert ihre Mimik zu einer Schockstarre, aus der sie nur die exzessiv konsumierten Drinks befreien können. Das Ding ist aber auch: Vanessa ist ehrlich damit, dass sie nicht heiraten oder eine einzige Person daten will. Sie macht ziemlich gute Komplimente und freut sich wie bolle darüber, endlich auf ganz viele Dates zu gehen. Und sie bringt so was wie Sex in eine Show, deren hottester Moment ansonsten ist, als die Kandidat*innen disktutieren, ob Rihanna, Beyoncé oder Cardi B besser im Bett wären (ich finde, die Antwort ist offensichtlich).
Die Verteufelung von Vanessa – die eine redaktionelle Entscheidung ist – ist problematisch. Einerseits ist ihre Darstellung als manipulative, von dem eigenen Aussehen besessene Femme Sexismus 101. Andererseits bedienen die Show und ihre Teilnehmenden das lesbophobe Klischee schlechthin: Lesben committen sich viel zu schnell (U-Hauling) und bleiben dann zu lange in ihren unglücklichen Beziehungen, in denen sie keinen Sex mehr haben. Drei der fünf Kandidat*innen, die zu Beginn der Show nicht heiraten wollten, ändern innerhalb von Tagen ihre Meinung. Homonormativität at its best.
the ultimatum queer love is so sick bc they know damn well lesbians can fall in love with strangers in 3 weeks
— jay (@jayjay_isokay) May 24, 2023
Dabei sind bei Weitem nicht alle Lesben aufs monogame Settlen aus. Laut der „Lesbian Sex Survey“-Studie des Onlinemagazins „Autostraddle“ gaben bereits 2015 rund 15 Prozent der Befragten an, in einer nicht-monogamen Beziehung zu sein, während mehr von ihnen sich wünschten, nicht-monogam zu leben.
Und die Tendenz ist stark steigend. Das beweisen zahlreiche Reddit-Threads oder der Brunch, auf dem ich letzte Woche war, und bei dem 90 Prozent der Personen mindestens ein bisschen lesbisch und etwas poly waren. To be clear: Ich erwarte von poly Lesben und Queers nicht, dass sie weniger messy sind als alle anderen Menschen. Und ich erwarte von Reality-TV auch nicht, das es smart oder fair ist. Alles, was ich will, sind ein paar slutty Lesben im Fernsehen, die wissen, dass sie genau das sein wollen.
Die Figur mit dem höchsten Slut-Appeal in der Mommy aller lesbischen TV-Shows ist zweifellos Hairdresser-turned-Bar-Owner Shane McCutcheon. In den ersten Staffeln von „The L Word“ wird Shane am laufenden Band aufgegabelt, weil sie existiert. Props zu dieser Darstellung: Shane ist bis zur Mitte von Staffel 2 cute, solidarisch mit ihren Friends und wie zufällig slutty. Sie ist keine lüsterne Lesbe, die unschuldigen straight Girls nachstellt. Sie ist nicht (offensichtlich) traumatisiert. Die Frauen fallen ihr ganz einfach reihenweise in die Hände, weil sie nicht anders können.
Doch bereits in der Ursprungsvariante der Show (2004–09) wird diese „weirde Form eines Ideals von befreitem Sex“ (so Kulturwissenschaftler*in Svenja Reiner in unserem Instagram-Chat) zunehmend zu dem überzeichneten Masc-Pendant der hinterhältigen Femme fatale: Als unersättlicher Fuckboy lässt Shane die Verlobte Carmen am Altar stehen und beginnt dann später eine toxische Beziehung mit der hinterhältigen, untreuen Femme Jenny.
In der Fortsetzung „The L Word: Generation Q“ läuft dieses Narrativ vollends aus dem Ruder. Shane, inzwischen mit einer beschissenen Frisur und in einer Mono-Beziehung mit Tess, kann sich nicht helfen und verführt die Single Mom Ivy zu einer unglücklich endenden Affäre. Beim Real Talk mit Tess fragt diese endlich die Frage, auf die ein Teil der Zuschauer*innen seit 2004 wartet: „Shane, willst du „ethical non-monogamy“ (ethische Nicht-Monogamie) praktizieren?“ Doch Shane, eine lesbische Barbesitzerin in Los Angeles, weiß angeblich nicht einmal, was das sein soll. Stattdessen gelobt sie Besserung für ihre Sexsucht und hat eine Folge später vor Tess’ Augen Sex bei der Hochzeit des wiedervereinten Dauerpaars Bette und Tina (Typ: Settlen für die ungute Beziehung ohne Sex).
Hätte es Shane je gelingen können, endlich zu checken, dass sie mindestens eine offene Beziehung braucht? Haben Poly-Erzählungen und -Lebensweisen im „The L Word“-Universum einen Platz im Zentrum der Show und nicht als augenzwinkernd erzählter Nebenstrang?
Wir werden es nie wissen – die Weiterführung wurde nach drei Staffeln abgesetzt. Und so ist die komplexeste Darstellung queer-lesbischer Sluttiness to date die Beziehung zwischen Auftragskillerin Villanelle und Geheimdienstagentin Eve Polastri in „Killing Eve“ – wobei die erotisch aufgeladene Katz-und-Maus-Jagd der beiden, die sich mehrere Staffeln lang nach dem Leben trachten, wohl auch eher unter toxisch zu verbuchen ist.
Wir brauchen mehr slutty Lesben in Serien und TV-Shows. Dykes, die sich halbwegs im Klaren darüber sind, dass Monogamie nicht das Endziel aller Bestrebungen ist. Die unsicher und gemein sein dürfen, aber auch großzügig und sweet. Die weder Bösewichte noch Gutmenschen sind, weil das die Realität ist. Und vor allem wünsche ich mir dabei mehr Sex.
Ich wünsche mir eine alternative lesbische Poly-Datingshow, in der wir folgende Ultimaten geben:
Schmeiß deinen Hund (deine Katze, Pflanze) aus deinem Bett und lass uns cuddlen.
Wenn du nicht innerhalb der nächsten sechs Wochen das Polysecure-Workbook durcharbeitest, musst du mich mit veganer Sahne besprühen und sie mir vom Körper lecken.
Fuck me now, love me later.