Wenig Pride, viel Prejudice
Kolumnist*in:
Hypertext von Zain Salam Assaad
„Hypertext“ ist das Produkt aller möglichen Memes und Sad Songs des letzten Jahrhunderts. In dieser Kolumne beschreibt Zain Salam Assaad mal satirisch, mal ganz ernst, wie sich Exil, Popkultur und Weltgeschehen zwischen dem Mainstream und am Rand der Gesellschaft bewegen – zwischen Pass und Smash. Dazu teilt Zain Memes oder eigene Mood-Playlists.
Es ist Juni, die Sonne scheint endlich auf die sonst bewölkten Ecken Europas und die Straßen füllen sich. Währenddessen hissen sowohl süße Start-ups als auch große Konzerne stolz ihre Regenbogenfahnen und gestalten ihre Logos um nach kitschigen und klischeehaften Vorstellungen von LSBTIQA*-Menschen. Es ist Pride Month – eine Zeit, die die Anliegen der queeren Communitys und den kontinuierlichen Kampf für Grundrechte wie Selbstbestimmung über den eigenen Körper und Sexualität sichtbar machen soll. Werbespots zeigen Menschen frech, dünn, sexy und extra bunt bekleidet. Sie sind Teil der queeren Community und wir sind eine riesige Wahlfamilie, die nur im Juni sichtbar ist.
Alles leuchtet nun in bunten Farben und sogar dein Chef fügt seine Pronomen in seine E-Mail-Signatur ein: er/ihm. Er gibt vor, sich zu kümmern, aber – sein*e PR-Berater*in meint, Queer sei gerade cool – sein größtes Interesse liegt immer noch beim Umsatz. Für eure europäischen Filialen ist der Regenbogen ein nice-to-have. In Ländern wie Saudi-Arabien allerdings kriegt eure Filiale keinen Regenbogen, weil das wahrscheinlich zu politisch wäre. Die Rechnung geht also nicht ganz auf: Für Grundrechte werben, aber nur dort, wo man damit Geld machen kann? Smells like Kapitalismus!
Wasch meinen Regenbogen bitte nicht mit
Jeden Juni führe ich Grundsatzgespräche mit Menschen in meinem Umfeld über LSBTIQA*-Rechte, queere Existenzformen und Beziehungsmodelle. Und natürlich auch über „Pinkwashing“. Dabei handelt es sich um die strategische Nutzung von queeren Ästhetiken, Geschichte und Sprache im Marketing. Ziel ist, den Eindruck zu erwecken, dass sich Unternehmen, Organisationen oder ganze Staaten für die Rechte und die Unterstützung von queeren Menschen einsetzen, während sie eigentlich nichts Konkretes dafür tun, außer einmal im Jahr eine bunte Fahne zu hissen. Denn Pinkwashing dient primär der Gewinnmaximierung.
Auf einer offiziellen Webseite der saudischen Regierung gibt es jetzt im FAQ-Bereich die Frage: „Sind LGBT-Besucher*innen in Saudi-Arabien willkommen?“ In der Antwort steht, dass „Saudi-Arabien alle Besucher*innen willkommen heiße und dass Menschen nicht dazu aufgefordert werden, solche persönlichen Informationen preiszugeben“. Ist das schon Fortschritt? Ich würde es nicht abstreiten. Heißt das, dass Menschen vor Ort nun sicher sind, wenn sie sich trotz der Lockerungen weiter gegen die islamistischen Ideologien des Königreichs wehren? Der Human-Rights-Watch-Bericht 2022 sagt: nein. Der HRW weist darauf hin, dass es weiterhin Einschränkungen bei den religiösen und sexuellen Freiheiten gibt sowie Verfolgung, willkürliche Verhaftungen von Feminist*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen. Zudem werden die Arbeiter*innenrechte verstärkt durch das Kafala-System eingeschränkt. Hier wird die Rolle von bekannten Unternehmen und Marken wie Pfizer oder Vogue deutlich: Ihre bunten Logos erscheinen nie in Ländern, in denen Queerness verurteilt wird – im besten Fall spielen sie dort einfach keine Rolle. Dafür werden sie immer wieder scharf von Aktivist*innen in arabischsprachigen Ländern auf Social Media kritisiert.
So ist Pinkwashing für mich nicht mehr als bedeutungslose Symbolpolitik, bei der Menschen und ihre Themen oberflächlich miteinbezogen werden, ohne Wirkung beanspruchen zu können. Es geht nicht um sie, sondern um Konsum. Queere Menschen posieren und amüsieren, sie konsumieren und werden konsumiert. Das verkauft sich in einigen Teilen der Welt gut, aber lässt die grundlegenden Fragen weiterhin offen: Wie bekämpfen wir internalisierte, aber auch gesetzliche und institutionalisierte Queerfeindlichkeiten? Wie lassen sich Dinge, Ästhetiken und Begriffe wirklich normalisieren, wenn sie nur an der Oberfläche bleiben?
Ich glaube daran, dass Menschen verschiedene Wege nutzen können, um ans Ziel zu kommen. Pinkwashing schluckt jedoch die Arbeit, die jahrelang von schwulen, lesbischen, trans* und generell queeren Bewegungen geleistet wurde, und kommodifiziert sie, macht diese Arbeit zur konsumierbaren Ware. „Co-Optation“ nennt sich das in den Sozialwissenschaften, wenn Gruppen mit sozialem oder monetärem Kapital politische Ideen, Symbole oder Bewegungen für ihre eigenen Zwecke entfremden und vereinnahmen. So wird der ursprüngliche Widerstand kleingeredet, die Kritik ignoriert und vom Ursprungsthema abgelenkt. Das mag gut gemeint sein, bleibt aber reine Imagearbeit und Verkaufsstrategie, solange auf die guten Absichten keine tatsächlichen Veränderungen folgen.
Was Queersein heutzutage alles bedeutet
Verkaufsstrategie und Imagearbeit ist auch, wenn deine Chefin zu dir „Slay“ sagt, wenn du deine Umsatzziele erreicht hast, sich aber sonst nicht um die Errungenschaften von LSBTIQA*-Menschen oder Queerfeindlichkeit bei der Arbeit schert. Man kann nicht Cherry-picken, was man sich aus unserer Community nimmt und was nicht, es gibt uns nur ganz oder gar nicht.
Queerness kann nicht nur die nächste Werbekampagne sein. Queerness ist Sarah Hegazi, die von der Gesellschaft und vom Staat in Ägypten ins vereinsamte Exil gezwungen wurde, weil sie tatsächlich die Regenbogenfahne in der Öffentlichkeit gehisst hat. Queerness ist ein Kampf gegen die Mullahs in Iran und gegen das „Anti-LGBT-Gesetz“ in Uganda, das zu den strengsten Gesetzen weltweit im Hinblick auf Homosexualität gehört. Auch in Deutschland ist die Geschichte nicht gegessen: Die AfD und andere rechte Gruppen mobilisieren jetzt im Juni unter dem Hashtag „Stolzmonat“ und hissen ihre Deutschlandflaggen. Pinkwashing mag glänzen, nur nicht zugunsten von queeren Menschen.