Die Zeiten sind hart: Unterkünfte von Geflüchteten brennen, Queers werden on- und offline angegriffen, behinderte Personen in einer andauernden Pandemie ans Messer geliefert, linke Proteste kriminalisiert, Reproduktionsrechte und trans Gesundheit beschnitten. Der Faschismus gewinnt Wahlen und das alles im Kontext einer brennenden, kriegführenden und immer ungleicher werdenden Welt. Vor fünfzig Jahren fragte Marvin Gaye schon „What’s Going On“ – 2023 antwortet Anohni mit „It Must Change“. Für ihr neues Album „My Back Was A Bridge For You To Cross“ habe sie viel über Marvin Gayes Song nachgedacht und einige der Stücke als Entgegnung darauf geschrieben, erzählt Anohni. Man hört es: viel

Soul, viel Blues, viel Schmerz, viel Wärme. Das liegt auch an der Zusammenarbeit mit dem Soul-Produzenten Jimmy Hogarth, der bereits mit Amy Winehouse und Tina Turner – der Himmel habe sie beide selig – gearbeitet hat.

Gemeinsam schrieben Anohni und Hogarth zehn Songs an Klavier und Gitarre. „Sliver Of Ice“ ist ein sanftes Stück über Liebe und Vergessen. „Scapegoat“ beginnt mit einer zarten, melancholischen Gitarre, um in klagenden Riffs zu enden, „It’s My Fault“ ist Trauer und Selbstanklage und handelt vom menschlichen Umgang mit der Erde, „Rest“ ist ein müder Blues. Mit „You Be Free“ endet das Album auf einer fürsorglichen Note, vielleicht eine Ode an die Schwarze Queer- und Aids-Aktivistin Marsha P. Johnson, die auch auf dem Cover des Albums abgebildet ist und die Anohni seit ihren Anfängen in den 1990er-Jahren immer wieder besingt.

Missy Magazine 04/23, Musikaufmacher
© Nomi Ruiz / Beggars Group Limited

„My Back Was A Bridge For You To Cross“ ist zärtlich, verletzlich, voller Liebe und Trauer. Es klingt wie das Durcharbeiten von Schmerz, wenn man weiß, dass nebenan jemand auf uns wartet. Wir dürfen weinen, heulen, zweifeln und sind damit nicht allein. „Meine Stimme kann anderen helfen, sich weniger einsam zu fühlen“, so Anohni auf dem Album. „Manchen Menschen ist es unangenehm, diese beängstigenden Zeiten beim Namen zu nennen. Für andere ist es eine Erleichterung, wenn man ehrlich darüber spricht. Sie fühlen sich dann als Teil einer Gemeinschaft. Meine Arbeit soll anderen dazu dienen, mit Würde und Widerstandskraft in die Auseinandersetzungen zu gehen, denen wir jetzt gegenüberstehen.“ Rosen Ferreira

Anohni and 
The Johnsons „My Back Was A Bridge For 
You To Cross“

Rough Trade Records

Dieser Text erschien zuerst in Missy 04/23.