Hä, was heißt denn Pretty Privilege?
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Wenn wir uns die Frage stellen, was wir als schön empfinden, wäre die Antwort wohl zunächst, dass Schönheit divers und äußerst subjektiv ist. Damit ist die Sache aber nicht einfach vom Tisch. Sätze wie „Schönheit kommt von innen“ gehen vor allem denjenigen leicht über die Lippen, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Denn wer schön ist, wird bevorzugt. Dieses Phänomen beschreibt der Begriff Pretty Privilege, der seit einigen Jahren in feministischen Debatten über Körperpolitik Verwendung findet.
Die Wissenschaft untersucht das Phänomen indes schon seit den 1970er-Jahren. Seitdem beschäftigt sich die „Attraktivitätsforschung“ damit, die gesellschaftliche Herstellung und Auswirkungen von Attraktivität zu untersuchen. Gemäß der Annahme „Wer schön ist, ist gut“ lassen sich Konsequenzen im sozialen Miteinander, im Justizsystem oder Berufsleben nachweisen. Hier wirkt der sogenannte Halo-Effekt: Wenn wir bei einer Person eine bestimmte Eigenschaft sehen, wirkt sich diese wie ein Heiligenschein auf deren gesamte (vermeintliche) Persönlichkeit aus. Wenn wir einen Menschen als besonders attraktiv wahrnehmen, gehen wir eher davon aus, dass die Person glücklich, kompetent oder erfolgreich sei.
Die Vorteile, die mit einem normschönen Aussehen einhergehen können, sind äußerst vielfältig. Wir verzeihen schönen Menschen schneller oder tolerieren mehr Fehler. Jene, die nicht in die Norm passen, werden dafür bestraft. Die Intersektion verschiedener Diskriminierungsebenen spielt dabei eine große Rolle, folglich werden Menschen, die bspw. dick und alt und dark-skinned sind und eine Behinderung haben, als weniger attraktiv wahrgenommen. Wer die Privilegien der Schönheit nicht genießen darf, erfährt Nachteile bis hin zu Gewalt. In „Belly Of The Beast – The Politics Of Anti-Fatness As Anti-Blackness“ schreibt Da’Shaun L. Harrison über die Verschränkung von Anti-Blackness und Dickenfeindlichkeit, die nicht nur dazu führt, dass Menschen Schönheit abgesprochen wird, sondern bspw. auch dazu, dass mehrgewichtige Schwarze Männer besonders häufig von tödlicher rassistischer Polizeigewalt betroffen sind, weil sie als gefährlich und unzähmbar betrachtet werden.
Es ist wichtig, Pretty Privilege anzuerkennen und zu reflektieren, doch das allein wird es nicht aufheben. Das Problem liegt auch nicht darin, normschön zu sein, sondern vielmehr darin, dass die genannten Hierarchien existieren und zudem selten offen thematisiert werden. Das soll nicht heißen, dass normschöne Menschen zu Unrecht erfolgreich sind – diese Annahme kann schnell in sexistische Debatten kippen. Insbesondere als attraktiv geltende Frauen werden innerhalb ihres beruflichen Umfelds teilweise als weniger kompetent wahrgenommen, häufig wird ihnen mit der Auffassung begegnet, sie hätten ihre Positionen nur aufgrund der eigenen Schönheit erlangt. Auch das ist eine misogyne Grundannahme.
Die mit Schönheit einhergehenden Vorteile zu genießen, bedeutet nicht, dass diese dauerhaft wirken. Faktoren wie Gewichtszunahme, Krankheiten oder im Laufe des Lebens erlangte sichtbare Behinderungen oder Verletzungen führen dazu, dass zuvor als selbstverständlich erachtete Privilegien ins Wanken geraten. Ich selbst habe seit einigen Jahren eine sichtbare Behinderung und kann sagen: Pretty Privilege is real. Ein Abweichen von der „Norm“ führt zu schiefen Blicken, ungefragten Kommentaren und, zumindest partiell, zu einer Abnahme zuvor genossener Vorteile. Alina Kreuz
Dieser Text erschien zuerst in Missy 04/23.