Now and Then: Anke Feuchtenberger über Kerstin Grimm
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Seit 43 Jahren kenne ich eine Dame. Ja, schon damals war sie eine Dame – immer schwarz gekleidet, immer mit weißen Knochenperlen um den Hals. Sie lud mich zu sich ein und machte mich mit ihren beiden Vögeln Alberto, benannt nach dem von uns beiden verehrten Bildhauer, und Oleander, benannt nach der von ihm vollgekackten Pflanze, bekannt. Sie zeigte mir ihre Skulpturen und lehrte mich zu schauen, den nackten Körper zu lesen und wie man Gips anmischt. Die Dame schichtete transparente Häute übereinander, auf die sie pulsierende Striche mit wässrigem Pigment zeichnete. Die Schichtung
verdichtet linsenartig den Blick in einen Brunnen. Einmal da hinein und wieder hinaus: auch auf der anderen Seite ein Weltbild. In kargen Landschaften stehen vereinzelt, vor ersonnenen und schon wieder verrotteten Edifizien, über denen sich eine schwarze Sphäre öffnet, andere kindliche Damen, die von einem fremden Wind gerüttelt, in Gesten des Beschwörens versunken sind. Manches Mal haben sie sich selbst verwandelt. Haben ihre roten Schühchen gegen pluderige Rabenhosen getauscht oder ihr Antlitz mit dem Rachen eines Bandwurms. Unwichtig, ob die Verwandlung nur Rückkehr in ihre eigentliche Gestalt ist. In jedem Stadium der Verpuppung ist ihre Süße zugleich entsetzlich. Sie leiden nie, aber Gefahr ist immer im Verzug. Sei es der Kohledunst aus den Öfen einer längst versunkenen Stadt, sei es Mutter Spinne oder ein kleines bewegliches Kameraauge. Rücken an Rücken mit dem Wissen von der anderen haben wir uns die Welt beschaut. Die in schwerem Grau vor uns liegt. Aus der sich manchmal rosig ein Fels erhebt und mit s…