Queeres Begehren auf der Leinwand
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Es gibt ein queeres Begehren, sich in anderen zu finden. Sich selbst in Archiven, Geschichten und Fiktionen aufzuspüren und nach Personen oder Figuren zu forsten, die wir sind oder sein könnten. Nicht nur für die Vergewisserung, dass es uns immer gab, sondern auch, um sich selbst besser zu verstehen.
Der Film „Orlando, meine politische Biografie“ des Philosophen Paul B. Preciado drückt genau dieses Begehren aus. Indem er die Geschichte Orlandos, ursprünglich der Protagonist des gleichnamigen
Romans von Virginia Woolf, kritisch und liebevoll nachzeichnet, erzählt Preciado nicht nur Teile seiner eigenen, sondern eine Vielzahl an trans Geschichten. Orlando ist ein junger Adliger, der über vier Jahrhunderte lebt, eines Tages als Frau aufwacht und so die britische Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt. Dabei lässt Preciado Orlando von insgesamt 25 trans und nicht-binären Menschen im Alter von acht bis siebzig Jahren spielen, die die Erzählung um ihre eigenen Geschichten ergänzen. „Die gegenwärtige Welt ist voll von Orlandos“, betont Preciado zu Beginn des Filmes im Voice-over.
Mit der Annäherung an eine queere Figur durch mehrere Darsteller*innen beerbt Preciado eine Tradition des queeren, dokumentarischen Filmemachens. Auch Filme wie „No Ordinary Man“ (Aisling Chin-Yee und Chase Joynt) oder „Je suis Annemarie Schwarzenbach“ (Véronique Aubouy) stellen Geschlechter- und Körpergrenzen infrage, indem sie historische Personen von mehreren Schauspielenden interpretieren lassen…