Musiktipps 06/23
Von MissyRedaktion

Dorian Electra
„Fanfare“
( Virgin )
Hyperpop-Pionier*in Dorian Electra war noch nie für einen minimalistischen Produktionsansatz bekannt. Und trotzdem: Das dritte Studioalbum „Fanfare“ eröffnet Electras bis dato wildesten Genremix. Schon auf dem Opener-Track „Symphony“ schrammeln Metal-Gitarren mit mittelalterlichen Trompeten um die Wette. Die Klassik mischt sich dafür im Song „Puppet“ unter, wenn Dorian Electra Beethovens altbekanntes „Für Elise“ anklingen lässt – dafür aber mit ordentlich Bass unterlegt. Und „Idolize“ könnte genauso gut auf einer EDM-Party Ende der Nullerjahre gespielt werden. Durch das Album zieht sich mal mehr, mal weniger konsistent das Thema der parasozialen Beziehungen: also die Beziehung zwischen Konsument*innen und prominenten oder fiktiven Charakteren, die sie bewundern. Ein Thema der Stunde, während wir uns durch soziale Medien so nah an unseren Idolen wie noch nie fühlen. Oder die 15 Sekunden Fame durch TikTok-Viralität so enorm greifbar werden. „Used to be minutes / now turned into seconds“, singt Dorian Electra auf „Wanna Be A Star“, dem letzten Track der Platte, und verweist damit auch auf Andy Warhols berühmten Kommentar. „Fanfare“ ist ein wildes Genrefeuerwerk, das für einige vielleicht zu grell zündet. Aber auch der musikalische Gegenpol zum Greige-Trend. Sophie Boche

Kaleo Sansaa
„CHII“
( Venice Music )
Die Berliner Sängerin Kaleo Sansaa ist auf einem Höhenflug. Ihr zweites Album „CHII“ schwingt sich in genrefluide Soundwelten und zelebriert eine wiederangeeignete Kultur des Genusses. Der Albumtitel leitet sich aus dem Bemba-Wort „Ubuchi“ ab, was auf Deutsch so viel wie Honig bedeutet, und steht sinnbildlich für die klebrig-süße Message des Albums. Der Sound gleicht dem Debüt aus 2021 („Solarbased Kwing“) und lässt sich als experimenteller HipHop mit Afropop-Elementen beschreiben, der stets von Gesang geleitet wird. Mal singt Kaleo Sansaa fast flüsternd, mal entgleitet die Stimme in hohe Off-key-Schreie, woanders entlädt sie sich in rasanten Raps oder imitiert die stolpernde Dynamik von Trap wie auf „Magic I Be“. Gewidmet ist das Album der Großmutter der Sängerin, Lilian Nakazwe Mulenga. Sie war eine Unabhängigkeitskämpferin im sambischen Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft. Kaleo Sansaa tritt also in große Fußstapfen, was nicht immer leicht ist. Sie berichtet von Schuldgefühlen, dem Bewusstsein der Opfer anderer für die eigene Freiheit und dem damit einhergehenden Gefühl der Verantwortung, alle stolz zu machen. Musik wird zur Medizin gegen die lähmende Kraft der Schuld. Mit „CHII“ nimmt Kaleo Sansaa Raum ein, zelebriert Freiheit, findet Kraft im Genuss und schließlich inneren Frieden mit dem Closer „My Peace“. Liv Toerkell

Dream Nails
„Doom Loop“
( Marshall )
„Women, trans and non-binary people to the front!“ Als die Dream Nails (als Vorband der Nova Twins) 2022 nach einer Handvoll Songs diesen Satz in die Menge rufen, ist die Reaktion noch etwas verhalten, doch nach und nach schieben sich Menschen nach vorne, trauen sich bis vor die Bühne und geben ihren Spot für den Rest des Konzerts nicht mehr auf. Ihre Augen strahlen, sie fangen an zu jubeln. Die Band, die vor ihnen steht, hat sich diesen Platz erkämpft und weiß, was es bedeutet, endlich gesehen zu werden. Nun erscheint das zweite Album „Doom Loop“. Darauf befinden sich zehn Songs voller Queerness, Punk und Riot. Angefangen mit der Single „Good Guy“, in der sie die vermeintlichen cis männlichen Allys auseinandernehmen. Gefolgt von Songs wie „Geranium“ und „Femme Boi“, in denen transmasc Energys gefeiert werden, oder „Monster“, in dem sie davor warnen, nicht genau so zu werden wie die, die bekämpft werden müssen. Mit „Sometimes I Do Get Lonely, Yeah“ und „Time Ain’t No Healer“ gibt es zwar nur zwei Balladen, die inhaltlich allerdings solch eine Wucht haben, dass sie in ihrer radikalen Zärtlichkeit ein nötiges Gegengewicht zum restlichen wundervoll wütenden Album sind. Avan Weis

Ilgen-Nur
„It’s All Happening“
( Power Nap Records )
Ilgen-Nur ist die coolste Slackerin, die Deutschlands Indiepop zu bieten hat. Oder müssen wir inzwischen sagen: hatte? Denn das neue Album der Songwriterin ist in Los Angeles entstanden – und so klingt „It’s All Happening“ auch: nach Träumen und Sonnenuntergang am Meer, nach Freiheitsversprechen und lauen Nächten, in denen man in einem alten Mercedes durch die Landschaft cruist. Genau das hat Ilgen-Nur getan, nachdem sie in der Stadt der Engel während der Corona-Pandemie irgendwie gestrandet war – und kurz danach auch direkt wiederkommen musste. Ihr Power-Pop ist weniger schrammelig als auf ihrem Debüt „Power Nap“, Klaviere und Synthies kommen deutlicher zum Einsatz, alles ist wärmer, melancholisch aber natürlich auch. Summertime Sadness trifft auf Momente des Glücks. Ilgen-Nur singt über die Liebe, über Drogen nehmende Großstädter*innen, über Dinge, die man einfach nicht versteht, und über die Suche nach sich selbst. Bei dieser Suche ist sie anscheinend fündig geworden. „Windows are mirrors / You are the things you want to be“, heißt es im letzten Song. Und wie hoffnungsvoll schön ist das, bitte? Ein dreamy Sommeralbum, das man auch ganz wunderbar im dunklen Herbst hierzulande hören kann. Juliane Streich

L’Rain
„I Killed Your Dog“
( Mexican Summer )
L’Rain in eine Schublade einzuordnen, kann nur misslingen. Auch das dritte Album des Kollektivs rund um Multi-Instrumentalistin Taja Cheek entzieht sich Kategorien. „I Killed Your Dog“ zu hören, ist, wie in eine multimediale Installation einzutauchen, eine träumerische Erfahrung, die am besten im vorgegebenen Loop funktioniert. Die 16 Stücke – teils nur kurze Interludes wie selbst produzierte Werbung oder Stimmen ihrer Friends – klingen mal traurig, mal boshaft, mal versöhnlich und hoffnungsvoll. Es geht um Liebe und Schmerz, darum, was es bedeutet, anderen wehzutun. L’Rain setzt dabei auf erzählerische und musikalische Vielschichtigkeit. Aus einer Ecke erklingt mit „Pet Rock“ eine erstklassige Indierock-Nummer, die sich selbst aber nicht so richtig ernst nimmt, gefolgt von einem leiernden Interlude, in dem Cheek singt: „I hate my best friends / because they want to fix me“, und dem titelgebenden „I Killed Your Dog“, das sich mit schaudernden Orgeln zwischen Absicht und Reue dahinwälzt. „5 To 8 Hours A Day“ ist Pop, der von den Carpenters eines Paralleluniversums stammen könnte. Für Musiknerds bietet das Album unfassbar viele Referenzen, von Post-Rock, Jazz bis hin zu J. S. Bach, aber auch wenn man nicht alle davon versteht – „I Killed Your Dog“ erschließt sich vor allem über den Bauch. Rosen Ferreira

Tirzah
„trip9love…???“
( Domino )
Auf der neuen, abermals von Mica Levi produzierten Platte macht Tirzah genau das, was sie am besten kann: ihre träumerischen Gesangs-melodien über kantige Beats säuseln und mit einem experimentellen Ansatz ganz nebenbei den HipHop erweitern. Diesmal spielt das Klavier eine größere Rolle. Tirzah und Levi nahmen damit zu Hause Melodien in einem hallenden Raum auf, die so simpel sind, dass sie fast naiv klingen. Auf „Promises“ wird die Klaviereinlage gesampelt und bekommt durch die treibende Drum Machine einen hämmernden Herzschlag. Das Stück gibt einen guten Eindruck, wie geschickt die Londonerin gegensätzliche Dynamiken kombiniert. Der ungewöhnliche Mix aus märchenhaftem Piano und fetten Drum-Beats dominiert die Platte, aber es gibt auch ruhige und gleichzeitig experimentelle Momente, wie im Mix von „Their Love“. In dem Song geht Tirzah mit ausgewählten Worten wie „Their love, only a dream“ auf eine einsame Liebe ein. Der Song kommt ohne Beat aus und konzentriert sich auf ihren Gesang, der zuerst trocken produziert und ab dem zweiten Drittel mit glitschigen und hallenden Effekten belegt ist. Mit dem anschließenden Track „No Limit“, der mit E-Gitarren-Arpeggio überrascht und immer wieder in unvorhersehbare Harmonien rutscht, beweist Tirzah, dass das Potenzial von HipHop noch lange nicht ausgeschöpft ist. Großartig! Lorina Speder

Zoe Wees
„Therapy“
( Virgin )
Was für eine Karriere: 2017 schied Zoe Wees in den Sing-offs bei „The Voice Kids“ aus – und entschied sich trotzdem oder gerade deswegen dafür, es im Alleingang zu versuchen. Mit Coverversionen von Lewis Capaldi und Leonard Cohen ersang sich die Hamburgerin auf TikTok und Instagram in kürzester Zeit eine beachtliche Fangemeinde. Bereits 2018 begann sie, mit professionellen Songwriter*innen und Producer*innen zusammenzuarbeiten. Mit dem Song „Control“, in dem Wees ihre Erkrankung (Rolando-Epilepsie) thematisiert, wurde sie europaweit erfolgreich. Ihre voluminöse, kraftvolle Soulstimme beeindruckt auch Kolleg*innen wie Jessie Ware und Ed Sheeran, der schon zu „The Voice“-Zeiten von ihr begeistert war. Endlich, endlich erscheint nun Wees’ Debütalbum „Therapy“, das genau das sein will: Empowerment und Hilfe für „Girls Like Us“, wie ein Song darauf heißt. Einige der zwanzig (!) Stücke kennt man schon von der EP „Golden Wings“ (2021), doch im Gesamtpaket gewinnen Tracks wie „Daddy’s Eyes“ oder „Hold Me Like You Used To“ noch mal an Brisanz und Schönheit. Zoe Wees breitet in den aufwendig arrangierten, dabei nie überproduzierten Songs ihr ganzes Leben vor uns aus, textet über abwesende Väter, toxische Beziehungen, traurige Geburtstagsfeiern und den schwierigen Prozess, all dies zu überwinden. Zoe Wees singt sich auf „Therapy“ frei, der achtzigerinspirierte Dance-Track „Less Of A Woman“ ist so etwas wie ihr „I Will Survive“. Große Stimme, tolles Album. Christina Mohr

Nura
„Periodt“
( Universal )
Es gibt viele Gründe, Nura gut zu finden. Wer nichts mit Rap anfangen kann, feiert sie vielleicht wegen ihrer Rolle in der Serie „Die Discounter“ oder wegen ihrer unheimlich sympathischen Art in Interviews. Ein weiterer Grund könnte ihr neues Album „Periodt“ sein. Auf den ersten Blick könnte man kritisieren, dass es dort um die üblichen Themen aus der Szene geht: Drogen, Sex und Partys. Diejenigen, die sich auf das Album einlassen, werden aber durchaus belohnt. Neben tanzbaren Tracks, die die sommerlichen Vibes auch noch für den Herbst konservieren, werden wichtige Themen angesprochen: Von Diskriminierung, Fluchterfahrungen, kultureller Aneignung bis hin zu Misogynie – alles packt Nura auf den Tisch. Seit ihrer Zeit bei SXTN stellt Nura ein Gegengewicht zu der überwiegend männlich dominierten Rap-Szene dar und allein das ist unterstützenswert. Ihr neues Album besticht durch eine Vielseitigkeit, die überrascht. Anspielungen auf Songs wie „Umbrella“ von Rihanna und die eingängigen Lyrics bringen eine*n dazu, direkt mitsingen zu wollen. Hängt man in Gedanken noch dem Text von „Eine gute Frau“ nach, tanzt man in der nächsten Sekunde zu „Für die Vibes“ mit. Und wer nach so viel Auf und Ab erschöpft ist, kann zum letzten Track, einem Schlaflied für Nuras Hund Chili, entspannt abschalten. Nadine Al-Bayaa

Antje Schomaker
„Snacks“
( BMG )
Huch! Vom flotten „Lost Indieboy“ kriege ich Sodbrennen, der Titeltrack „Snacks“ mäandert zu sehr. Doch „Nie nach Paris“ zündet sofort: Nach der von charmantem Indiepop umgarnten Zeile „Mit dir schmeckt Secco von der Tanke wie aus der Champagne“ will ich sofort mit einem lieben Menschen losdüsen. Die Wahlhamburgerin Schomaker, die seit ihrem 2018er-Debüt „Von Helden und Halunken“ zu Recht gefeiert wird, zeigte 2022 mit ihrem Hit „Ich muss gar nichts“ der noch immer zu männlichen Musikbranche ihre Mittelfinger. Seitdem ist sie auf ihrer Mission für mehr Sicht- und Hörbarkeit von Musikerinnen so engagiert wie Kollegin Bernadette La Hengst, die schon 2013 mit Chor „Nein, nein, nein“ zu einem miesen Angebot sagte. 2022 bewies Schomaker mit ihrer Single „Auf Augenhöhe“ mit einem Chor aus 124 Künstlerinnen kredibel Schwesternschaft. Für „Snacks“ hat sie nun die Plattenfirma gewechselt und will besser auf sich achten. Warum? Hört man in den von feinstem Pop und üppigem Indierock ummantelten Coming-of-Age-Songs über eine toxische Beziehung und deren (Nicht-)Bewältigung („Zeit heilt einen Scheiß“), in einer Ode an die Mutter („Wenn ich mal Kinder hab“), über eine Pferdestehl-Freundinnenschaft („Irgendwohin“ mit Juli /Eva Briegel) und im waidwunden „Sterne und so“. Beim Cover von Peter Fox’ „Alles neu“ zeigt Schomaker, dass sie auch rappen kann. Ätsch! Barbara Schulz

Vagabon
„Sorry I Haven’t Called“
( Warner Music )
Für ihr drittes Album hat die gebürtige Kamerunerin ihre Heimat New York verlassen und sich in ein Dorf in Norddeutschland verzogen. Dennoch ist dieses Album urbaner und tanzbarer denn je. Mit 17 Jahren hat Vagabon ihre ersten musikalischen Gehversuche noch mit einer Gitarre um den Hals in Indie- und Punkläden gewagt, diese allerdings gegen 808s, Synthesizer und Samples eingetauscht. Ihre einst zarte Liebe zu Beats hat Vagabon nun vollends aufblühen lassen und es steht ihr gut! „Sorry I Haven’t Called“ schafft es mit vielfältigen Sounds, eine durchzechte Nacht mit all ihren Zwischentönen und Nuancen punktgenau einzufangen. Mit stetig variierendem Tempo führt Vagabon von düsteren Clubs („You Know How“) zu sanftem Dämmerlicht („Autobahn“) zum heißen Filterkaffee am nächsten Morgen. Wie eine kaputte Glühbirne flackert, zittert und vibriert dieses Album mit all den elektrisierenden Strömungen. Ganz und gar verzichten kann die Musikerin allerdings nicht auf die Gitarre. In „Lexicon“ singt Vagabon zu sommerlichem Strumming und auch im finalen Titel „Anti-Fuck“ greift sie in die Saiten: Dort verbindet sie Akustik- und E-Gitarre, die sie am Ende noch einmal aufheulen lässt. Auf „Sorry I Haven’t Called“ hat es Vagabon gemeistert, die unverkennbare Wärme und Nachdenklichkeit ihrer Stimme aufs Podest zu stellen und die Melodien mit starken Beats zu verbinden. Rosalie Ernst

futurebae
„BLA“
( Virgin )
futurebaes Debütalbum „BLA“ ist alles gleichzeitig – die Erschöpfung einer zehrenden Beziehung („wELLeN“), selbstsicher in Lacklederboots tanzen („sLay QuEen“), das Vermissen einer alten Liebe, während mensch neben einer neuen liegt („trOstPflastEr“), und wachsende Crushes auf Freund*innen („WiR sinD FREUnde“). Die zehn Songs schmecken süß-salzig-bitter und entblättern die Realisation: Mist, ich hätte meinen Gefühlen Knieschoner anziehen sollen. Vertont klingt das nach Hyperpop, Rap und Achtziger-Synths, das Album lässt Genres ineinander verfließen. Mal schimmern Referenzen an futurebaes Kindheitsidole durch (hi, 2000er-„Girlbands“!), dann legt sie ihre Stimme über zarte Elektrosounds oder düstere Rockriffs. Auch inhaltlich ist Fluidität fester Teil der futurebae-DNA. Die Künstlerin glitcht sich durch Trennungszyklen „Ich schlafe nicht mehr / so viel hin und her / das alles für eine Berlin Love Affair“, ringt mit brennender Unsicherheit und ist gleichzeitig gut zu sich: „Schau in den Spiegel / denk mir uh, du bist hot“. futurebae schafft es trotz den Layers von Schmerz und Melancholie, cool mit sich selbst zu sein – sie scheint sagen zu wollen: Wir leben alle zum ersten Mal, da schürfen wir uns zwangsläufig unsere Gefühle auf. Und das ist okay. Alisa Fäh

LP
„Love Lines“
( BMG )
Nicht nur im vorab ausgekoppelten Opener „Golden“ singt LP über eine Liebesbeziehung, bei der man sich nicht sicher sein kann, ob diese großartige Geschichte eigentlich vorbei ist. „Love Lines“ ist nämlich nicht nur ein Album über Lebenslinien geworden, sondern eben auch über Liebeslinien. Zudem ist es musikalisch unheimlich spannend und experimentell, was auch der Auftakt untermauert: Kastagnetten und spanische Gitarre treffen auf eine leicht verzerrte Gesangslinie. Zum Refrain beginnt dann ein Pop-Beat, der packt. Das darauffolgende „Wild“ gefällt mit einem schönen Indiegitarrensound, zu dem man einfach viben kann. Während „Dayglow“ mit poppigen Hintergrundgesängen besticht, ist es später bei „Blow“ fast bluesig, mit einer E-Gitarre, die aus der Ferne grüßt. „Hold The Light“ ist ein schöner, akustischer Ausklang zu zwölf Songs fast wie aus einem Guss. Vor allem „Long Goodbye“ lässt einen Hollywoodfilm am inneren Auge vorbeilaufen, so stimmungsvoll sind die Klänge, unter anderem von Streichern. Ab dem Titelsong fließt es wirklich einfach nur so durch, nostalgische Gefühle inklusive. Das mag daran liegen, dass LP laut eigener Aussage LPs ureigenste Essenz auf dieser Platte verewigt habe. Und das ist vor allem wahnsinnig gut anhörbar! Simone Bauer

Jamila Woods
„Water Made Us“
( Jagjaguwar )
„Komm ins Wasser, es ist warm“, lädt die Sängerin und Poetin Jamila Woods auf ihrem neuen Album „Water Made Us“ ein. Inspiriert von einem Toni-Morrison-Vortrag nutzt die Künstlerin aus Chicago Wasser als Metapher für Liebe, die verschiedene Formen annehmen kann und alles durchdringt. Nach „LEGACY! LEGACY!“ aus 2019, das ikonischen Schwarzen Aktivist*innen und Künstler*innen gewidmet ist, wendet sich Jamila Woods jetzt sich selbst zu. Sie erzählt von emotionalem Wachstum und Spiritualität, von Flirts, Liebe und gebrochenen Herzen. Auf „Tiny Garden“ singt Jamila Woods zusammen mit Duendita davon, Gefühle zu gießen, bis sie zu kleinen Gärten heranwachsen. Auf der Klavierballade „Wreckage Room“ kehrt sie die Scherben einer gescheiterten Beziehung auf. Zusammen mit Rapper Saba übt sie sich in Geduld auf „Practice“. Die Songs auf „Water Made Us“ entfernen sich von dem Sound des vorherigen Albums und schlagen sowohl lyrisch als auch musikalisch einen sanfteren Ton an. Getragen von R’n’B, akustischen Folk-Melodien und Neo-Soul-Grooves orchestriert Jamila Woods ein Album, das Hörende trägt wie eine Welle. Ihre intimen Beschreibungen der Höhenflüge und Abgründe der Liebe münden letztendlich in standhafter Selbstliebe. „Water Made Us“ ist ein geduldiges Album, auf dem Jamila Woods Liebe in all ihren Formen zelebriert. Liv Toerkell
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 06/23.