Viele Menschen protestieren gemeinsam. Eine Person sprüht Ni-Una-Menos an die Wand.
© Anna Hofmann

„La potencia feminista“ heißt dein 2020 erschienenes Buch im spanischen Original und handelt von Ni Una Menos, der feministischen Bewegung gegen geschlechterbasierte Gewalt, die sich 2016 in Argentinien gegründet und seitdem in ganz Lateinamerika verbreitet hat. Was bedeutet „potencia“? Ich mag dieses Wort gerne, nicht zuletzt, weil es dafür im Englischen keine gute Übersetzung gibt. „Potencia“ ist einerseits ein philosophisches Konzept, aber auch ein geläufiger Ausdruck für das Gefühl einer Machtausübung „von unten“, eine kollektive Macht, die durch die Körper der Unterdrückten fließt. Der Begriff vermeidet die Unterscheidung zwischen dem Individuum als isoliertem Körper und dem

Kollektiv als undifferenzierte Masse. Er bezieht sich vielmehr darauf, wie wir uns etwa als feministische Aktivist*innen fühlen, wenn wir Teil eines größeren Körpers werden, z. B. bei Demonstrationen. „Potencia“ macht uns auch sensibler und reicher an Ressourcen, Vorstellungskraft und Verlangen.                               

Du betonst die Bedeutung von körperlicher Erfahrung für die politische Wissensproduktion. Was meinst du mit „situiertem Denken“ und was hat das mit dem feministischen Streik zu tun, der mit Ni Una Menos in Argentinien startete und mit weltweiten Aktionen am 8. März global an Bedeutung gewonnen hat? 
Für mich bedeutet „situiert“ sowohl eingebettet (embedded) als auch verkörpert (embodied). Unser individualistisches System erzeugt die Vorstellung, dass wir von unserer Umgebung getrennt werden könn…