Von Pilzen lernen
Von
Von Ella von der Haide und quEErEcologiEscollEctivE
Als die Anfrage für diesen Artikel über Pilze und Queerfeminismus hereinkommt, will ich gerade in den Wald aufbrechen, um wie jedes Jahr im September Pilze zu sammeln. Im ersten Moment möchte ich absagen, aber dann finde ich es doch zu verlockend, der aktuellen Pilzbegeisterung einen queerfeministischen Impuls zu geben.
Wir (quEErEcologiEscollEctivE) sagen zu und ich ziehe los, um beim Pilzesammeln die Gedanken zu ordnen. Beim Packen meiner Tasche denke ich an die Tragetaschentheorie von Ursula K. Le Guin. Diese feministische Spekulation lehrt uns, dass die ältesten technischen Gegenstände keine Speere oder Äxte, sondern Beutel zum Tragen gesammelter Nahrung waren. Wie anders sich Geschichte anfühlt, wenn die
technische Entwicklung bei diesen achtsamen und wissenden Sammler*innen beginnt und nicht mit Kämpfen und Töten.
Die Pilze, die ich in einem Fichtenmonokultur-Forst am Stadtrand von München zu finden hoffe, sind radioaktiv belastet. Im südlichen Oberbayern regneten die radioaktiven Wolken aus Tschernobyl 1986 ab. Die Waldböden sind immer noch kontaminiert. Trotzdem wachsen Pilze. Sie zeigen uns, wie neue queerfeministische Geschichten des (Über-)Lebens in den Ruinen des Kapitalismus erzählt werden können. Die posthumanistische Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing beschreibt, wie Matsutake-Pilze in postindustriellen Brachen, z. B. rund um den Reaktor in Fukushima, wachsen und wie (Über-)Leben von menschlichen und mehr-als-menschlichen Lebewesen auf einem beschädigten Planeten möglich ist.
Speisepilze sehe ich an diesem Tag nur wenige, es war wohl zu trocken. Dafür begegnen mir Flechten, u. a. auf den Betonmauern der Autobahnunterführung, durch die ich mitten im Wald gehe. Immer wenn ich diese…