Schweigen ist keine Option

#ThrowbackFeminism behandelt geschichtliche und philosophische Themen aus feministischer Perspektive und stellt die Frage in den Fokus, welche Erkenntnisse wir daraus für aktuelle Kämpfe gegen Patriarchat und Kapitalismus gewinnen können.
Kriege und bewaffnete Konflikte gehen fast immer mit einem Anstieg patriarchaler Gewalt sowie Vertreibung und humanitären Krisen einher, von denen Frauen und Queers besonders betroffen sind. Es ist demnach kein Zufall, dass sich im Laufe der Geschichte gerade Frauen- und feministische Bewegungen in Kriegszeiten vermehrt aufgelehnt und protestiert haben. Patriarchale Gewalt überschneidet sich auf vielen Ebenen mit staatlicher Gewalt und Militarismus. Sie bedingen und befeuern einander: Militarisierung normalisiert Gewalt, patriarchale Vorstellungen begünstigen Nationalismus, und Militarisierung sowie die Ausübung staatlicher Gewalt wurden in der Geschichte nicht selten mit patriarchalen, nationalistischen Ideen gerechtfertigt.
Kämpfe für Frieden sind Teil feministischer Geschichte
Historisch haben Frauen- und feministische Bewegungen immer eine wichtige Rolle dabei gespielt, für Frieden, Gerechtigkeit und Aufarbeitung zu kämpfen und sich gegen staatliche Gewalt und reaktionäre Kräfte zu stellen. In Afghanistan sind es seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 Frauenbewegungen und feministische Organisationen, die sich gegen die massive Einschränkung der Frauenrechte organisieren. In Rojava/Nordsyrien waren es allen voran die Frauenverteidigungskräfte YPJ, die vor einigen Jahren den Islamischen Staat (IS) besiegten. In Nordkurdistan kämpfen seit 1999 die Friedensmütter, eine Initiative von Frauen, die ihre Kinder durch den Krieg der Türkei verloren haben, für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Und in Israel und Palästina gibt es seit Jahrzehnten Initiativen israelischer und palästinensischer Feminist*innen, die sich sowohl gegen reaktionäre islamistische Kräfte als auch gegen die staatliche Gewalt gegen Palästinenser*innen und die Siedlungspolitik Israels stellen und versuchen, Räume für Dialog und Frieden zu schaffen.
Auch nach Ende von Kriegen und Konflikten waren und sind es Frauenbewegungen, Feminist*innen und Mütter, die unermüdlich für Aufarbeitung und Gerechtigkeit kämpfen. In Argentinien etwa kämpft seit 1977 die Bewegung der Madres de Plaza de Mayo, eine Organisation von Müttern, deren Kinder unter der Militärdiktatur von Jorge Rafael Videla von der antikommunistischen, rechten Militärjunta entführt wurden, für Aufklärung. Ähnlich fordern in der Türkei und Nordkurdistan die sogenannten Samstagsmütter seit 1995 Aufklärung für das Verschwinden ihrer Angehörigen in Polizeigewahrsam. Nach vielen Kriegen und bewaffneten Konflikten auf der Welt, z. B. in Bosnien (1992–95) oder Nepal (1996–2006), ist bzw. war das Aufarbeiten von sexualisierter Gewalt im Krieg ein zentrales Thema, was der Arbeit und den Kämpfen von dortigen feministischen und Frauenbewegungen zu verdanken ist.Hêlîn Dirik
Schweigen ist keine feministische Antwort
Der aktuelle Krieg in Gaza hat innerhalb weniger Wochen Tausende zivile Opfer gefordert. Während der Krieg und die humanitäre Krise jeden Tag weiter eskalieren, sind im deutschsprachigen Raum sogar Forderungen nach Frieden und Waffenruhe umstritten oder Positionierungen zu dem, was geschieht, bleiben gänzlich aus. Besonders in Hinblick auf die lange feministische Geschichte in Friedensbewegungen sollten Rückzug und Schweigen aus feministischer Sicht keine Option sein. Aus meiner Sicht gibt es einige grundlegende Dinge, für die wir als Feminist*innen einstehen müssen:
Ein Nicht-Positionieren bei einem Krieg mit so vielen zivilen Opfern wie in Gaza, ein Nicht-Positionieren zu staatlicher Gewalt und Vertreibung kann keine feministische Haltung sein. Es sollte vielmehr feministischer Konsens sein, sich deutlich und entschlossen militärischer Gewalt, Vertreibung, Krieg und jeder Art von islamistischen und anderen reaktionären Kräften entgegenzustellen. Es sollte eine feministische Agenda sein, Frieden zu fordern, Raum für Dialoge zu ermöglichen und progressive Befreiungsbewegungen sowie Friedensbemühungen zu unterstützen. Es sollte eine feministische Praxis sein, Fürsorge und Unterstützung zu leisten für alle jüdischen und palästinensischen Geschwister und Genoss*innen, die vom Krieg direkt oder indirekt betroffen sind und hierzulande rassistische und antisemitische Angriffe erleben. Es sollte unsere Aufgabe sein, „als Gesellschaft und politische Menschen Trauer und Protest nicht den Rechten oder Islamisten [zu] überlassen“, wie Missy-Autor*in Zain Salam Assaad in deren Kolumne schreibt.
Wenn wir Feminismus unter anderem als Kampf gegen patriarchale Gewalt begreifen, muss das auch einen Kampf gegen Militarismus, Krieg, Repression und Unterdrückung beinhalten. Es muss eine vehemente Ablehnung von islamistischen und reaktionären Kräften ebenso beinhalten wie eine Ablehnung von Krieg, Vertreibung und Kriegsverbrechen, die in der Geschichte teilweise sogar im Namen von Frauenrechten begründet wurden, wie z. B. beim „Antiterrorkrieg“ der USA in Afghanistan. Das beharrliche Auflehnen gegen jede Art von staatlicher, patriarchaler und reaktionärer Gewalt ist ein feministisches Prinzip, das wir aus der Geschichte von Friedensbewegungen ableiten können. Frauenbewegungen, queere und feministische Bewegungen haben schon immer an vorderster Front für Frieden und Gerechtigkeit gekämpft – als Feminist*innen sollten wir uns gerade in diesen Zeiten auf diese Geschichte berufen und Haltung zeigen.