Eine Person steht oberkörperfrei und macht ein Selfie, während sie eine lange Liste in der Hand hält, die in eine Box mit der Aufschrift "Transition Byes" fällt. Unterhalb der Illustration steht: "Über zwanzig Jahre waren meine Brüste zentral für meine Identität. Wie kann ich sie gebührend verabschieden?"
Über zwanzig Jahre waren die Brüste von Missy-Kolumnist*in Evan Tepest zentral für deren Identität.

Vor ein paar Wochen habe ich um meine Brüste geweint. „Sie können ja auch nichts dafür!”, sagte ich zu Gianni unter Tränen. „Ich habe das Gefühl, sie sind wie zwei unschuldige Kuscheltiere.” Ein paar Wochen vor meinem Mastektomietermin fand ich meine Brüste plötzlich so süß und bemitleidenswert wie ein Paar Teddybären.

Mit meiner Entscheidung für die OP bin ich mir zu neunzig Prozent sicher – und damit so sicher wie mit vielleicht kaum einer Entscheidung in meinem erwachsenen Leben. Mit zwölf Jahren habe ich meinem Tagebuch bereits mein Unbehagen über die rasante Veränderung meines Körpers anvertraut. Ich habe geweint, als ich auf einmal nicht mehr oberkörperfrei Fußball spielen durfte, und in der Folge meinen ganzen Style an weiten Männershirts und Oversized-80s-Pullis orientiert. Seit meine Brüste da waren, habe ich mich keinen Tag nackt im Spiegel gesehen und dem, was ich da sah, zugestimmt. Doch ich war noch nie gut im Abschiednehmen.

Ich habe von vielem Abschied genommen in diesem Jahr: von Freund*innenschaften und Zigaretten. Von meinem Begehren nach einer monogamen Beziehung, meinem Ersparten (weil Deutschland, wenn überhaupt, nur binären trans Personen eine Mastektomie bezahlt) und der Hoffnung auf eine progressive linke Fraktion im Bundestag. Diese Abschiede waren nötig. Trotzdem bin ich nun, am Ende dieses langen Jahres, ihrer so leid. Abschiede, das habe ich wieder gelernt, sind alles andere als straightforward.

Uns macht nicht bloß das aus, was gut für uns ist. Vielleicht sogar wichtiger sind unsere negativen Empfindungen, sind Scham, Selbsthass und Ekel. Diese prägen, mit den Worten der Queer-Theoretikerin Eve K Sedgwick, die „Beziehungs- und Interpretationsstrategien gegenüber sich selbst und anderen“. Und eine dieser Beziehungen ist für mich die zu meinen Brüsten.

Mein Körper ist straight-bodied und weiß, meine Brüste sind, gemessen an landläufigen Schönheitsnormen, nicht zu klein und nicht zu groß. Mir ist das Begehrtwerden als „Frau“ vertraut, auch wenn es sich immer an mir vorbei angefühlt hat. Ich erinnere mich, dass Männer mich sexualisiert haben, als wäre ich einem Amateurporno entsprungen, und tatsächlich waren meine wenigen Hetero-Erfahrungen von einem hohen Maß an make-believe geprägt. Sie waren eine ausgeklügelte Performance, ein Femme-Drag, von dem nur ich wusste und für das ich sogar vor mir selbst keine Sprache hatte.

Friends, die mir noch nie ein explizites Kompliment zu meinem Körper gemacht haben, sagen mir jetzt, dass sie meine Brüste hot finden. Exfreundinnen bekommen, bevor sie die Kontrolle über ihre Mimik wiedererlangen, einen leidenden Gesichtsausdruck, wenn ich ihnen von meiner bevorstehenden Mastek erzähle. Ich habe Angst davor, wie mein Körper noch begehrt werden wird, in den Wochen nach der OP, wenn ich mich kaum bewegen können werde, vor den Jahren, möglicherweise bis zu meinem Lebensende, in denen mein Äußeres kein kohärentes, begehrenswertes Geschlechterbild abgeben wird.
Über zwanzig Jahre waren meine Brüste zentral für meine Identität, die Art und Weise, wie ich mich anziehe, und mich in der Welt bewege. Dafür, wie ich den auf mich gerichteten Blick anderer interpretiere. Wie kann ich sie gebührend verabschieden?

Evan Tepest

Evan Tepest lebt als Autor in Berlin. 2024 erschien sein erster Roman „Schreib den Namen deiner Mutter“, 2023 erschien Essayband „Power Bottom“. Seine Texte sind außerdem in Anthologien und Zeitschriften erschienen, zuletzt in „Delfi. Zeitschriftfür neue Literatur“. Tepest ist Kolumnist für das Missy Magazine und ist im Wintersemester 24/25 Dozent für Essayistik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Es gibt viele Dinge, die ich mit meinen Brüsten nicht gemacht habe: Es hat nie jemand auf meine Brüste ejakuliert, es hat noch nie jemand ein phallisches Objekt zwischen meine Brüste gesteckt. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich habe nie einen Push-up-BH besessen. Meine Brustwarzen wurden noch nie von einer Nippelklemme umfasst, sie wurden nie von einem spitzen Gegenstand durchstochen, ich habe meine Brüste nie benutzt, um ein Kind zu stillen oder das Gesicht eines Lovers zu smothern. Ich will das alles nicht, aus guten Gründen. Und so schreibe ich weiter an meiner Liste, fotografiere mich oberkörperfrei und packe die Aufnahmen in eine Box mit der Aufschrift „Transition Byes”.

Ich freue mich auf so vieles, das kommt. Ich lege die drei Sport-BHs, die ich noch besitze, zu den Nacktfotos in die Box. Ich suche nach engen Hemden und kaufe twinky Oberteile, auf denen in silbernen Pailletten „Sex“ prangt. Ich gehe in die Sauna und stelle mir vor, dass es das letzte Mal ist, dass jemand außer meinen Lovers diese Brüste sehen wird.
Bye-bye, Boobs, es war mir kein Vergnügen. 




Apropos Abschiede:

Das Missy Magazine steckt in einer finanziellen Krise, daher werden alle Onlinekolumne bis auf Weiteres eingestellt. Leider ist das damit also die vorerst letzte Ausgabe von „Triple Water“ – it has been a blessing!

Da ich gerne weiterschreiben möchte, starte ich im Dezember einen Newsletter. PROCESSING widmet sich Testo, Texten und Trauma – und weiteren Auseinandersetzungen, die wir mit uns selbst und anderen haben.

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