Es gibt vier BIPoC Menschen, die äußeren sitzen auf Stühlen und schauen in ihre Handys, die beiden in der Mitte hocken und machen Rope Play. Über der Illustration steht: „Wenn mensch genauer hinschaut und Aseggsualität als ein Spektrum betrachtet, dann macht es mehr als Sinn, dass Aces k1nky sind.“
Asexuell und kinky sein – geht das denn zusammen? Unser*e Kolumnist*in sagt klar ja. Wie das aussehen kann, thematisiert Hà Phương Nguyễn in der neusten Kolumne. © Bär Kittelmann

Beziehungsweise queer und Việt Kiều: Über das Dazwischenliegen, innere Zerrissenheit, Finden eines Zuhauses, Mehrdimensionalität, Lieben und Trauern, Hinterfragen und Neugierigbleiben.

Die Komplexität des Ace-Seins

Während eines Workshops über Kink habe ich die Erfahrung gemacht, dass Personen betonen wollten, dass asexuelle Personen auch kinky sein können. Ich habe mich gefragt, wieso diese Hervorhebung im Vergleich zu allosexuellen Personen nicht so vorkommt. Im Nachgang an ein Gespräch mit einer befreundeten Person, die auch ace (asexuell) ist, meinte sie: „Ace und kinky sein macht so viel Sinn.” Meine Gedanken kreisten weiter um den Workshop und ich hatte das Bedürfnis, diesen Widerspruch, der für viele nicht-Aces klar ist, aufzuheben. Übrigens: Asexuelle Menschen und Communities benutzen „ace” als Abkürzung und Label, ähnlich wie nicht-binäre Personen “enby” verwenden.

Die Vorstellung, dass asexuelle Menschen auf eine bestimmte Art und Weise prüde auftreten ist nicht nur stereotypisierend, sondern schränkt auch unsere Sicht auf und unser Verständnis von zwischenmenschlichen Beziehungen und das Ausleben von Intimität ein. 

Wie kannst du asexuell sein und dich gleichzeitig für Sex und Sexualität interessieren? Kann eine asexuelle Person sich sexy bewegen, auf Sexparties gehen und sie genießen, Pornos schauen, auf Dating-Apps unterwegs oder selbst Erotik-Model sein, kinky sein, Vorlieben haben und/oder Intimität wollen?

Es gibt Sexarbeiter*innen, die als Escort arbeiten und/oder in der Porno-Industrie tätig sind, die ace sind und/oder sich auf dem asexuellen Spektrum bewegen. Sexarbeit ist ein Oberbegriff, der verschiedene Dienstleistungen umfasst: von Dominatrix, Erotik-Massagen bis hin zu Kuschel-Service und emotionaler Arbeit ist alles dabei. Und natürlich gibt es Sexarbeiter*innen, die in Liebesbeziehungen sind (ob mono, poly, single, solo poly, verheiratet, usw.) und keinen Sex mit ihren Partner*innen haben, aber Sex mit ihren Klient*innen, weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen.
Aces sind alle individuell. Manche finden Sex eklig und können nicht nachvollziehen wieso Menschen Sex genießen und wollen. Andere stehen Sex neutral gegenüber und sehen Sex als eine Aktivität, wie Karten spielen oder ins Museum gehen, zwischen Personen. Es gibt Ace, die gar nicht mastubieren, die manchmal mastubieren oder die oft mastubieren, die selten oder gar keinen Sex haben. Manche interessieren sich für Sex, andere gar nicht.
Auch in sexpositiven und liberalen feministischen Kreisen herrscht noch immer Verwirrung darüber, wie Asexualität und Kink miteinander zusammenhängen können – vor allem wenn es darum geht, dass Kink sich allein auf sexuelle Praktiken und Dynamiken bezieht.
Viele fragen sich dabei: Ist das denn nicht widersprüchlich? Nein. Es gibt nämlich mehr kinky Aces als mensch meint zu wissen.

Das Spektrum von Kink 

Was ist Kink eigentlich und wer bestimmt was kinky Sex überhaupt ist? Die Mehrheit der Gesellschaft wird mit dem Begriff „Kink“ wohl Dinge wie BDSM und Fetisch, Bordell, Swinger-Clubs, ungeschützter Sex, Leder, Gangbangs und Grenzüberschreitungen assoziieren. Weil Kink und BDSM (Bondage, discipline/dominance, submission/sadism, masochism) sowie das öffentliche Sprechen über Sexualität und sexuelle Fantasien immer tabuisiert und mit Scham behaftet werden, bietet diese Stigmatisierung den Nährboden für Mythen, Vorurteile, falsche Annahmen und Projektionen. Deshalb wird in der Gesellschaft unterschieden, was „richtiger und normaler“ Sex ist, indem sexuelle Szenarien oder Praktiken aus dem BDSM-Bereich als „pervers” oder „eklig” gelabelt werden und traditioneller Zwei-Personen-Sex zu Hause im Bett als „normal“ gilt. Historisch gesehen wurde BDSM pathologisiert: Eine weit verbreitete Vorstellung ist, dass Kink aus sexuellem Trauma und emotionalen, physischen, psychologischen und sexuellen Missbrauch stammt. Der berühmte Psychologe Sigmund Freud stellte zum Beispiel mit seiner Sexualtheorie die These, dass die Entstehung von Sadismus und Masochismus eine Störung der frühkindlichen Sexualität sei. 

In der Tat bemühen sich BDSM-, Kink-, Queer- und Polyamorie-Communities darin sich aktiv mit dem Konzept des Konsens auseinanderzusetzen und zu praktizieren – nicht nur für Sex, sondern in Liebesbeziehungen, Beziehungsmodellen, Machtdynamiken und Community-Arbeit. Die Basis von Kink ist Vertrauen, Konsens, Kommunikation über Grenzen, Vorlieben, Safe Words und Sicherheit – und vor allem Spaß für alle involvierten Personen.
Kink ist ein Oberbegriff, der alle einvernehmlichen Aktivitäten, die power play (das Spielen mit, Wechseln und Erkunden von verschiedenen Machtdynamiken) implizieren, die sich außerhalb der traditionellen, vanilla-sex (normaler, langweiliger, gewöhnlicher Sex unabhängig davon ob es cis-heterosexueller oder queerer Sex ist), mononormativen sexuellen Praktiken bewegt.

Kink ist nicht immer sexuell. Für manche Menschen gehen Kink und Sex Hand in Hand, für andere nicht. Kink ist nämlich nicht nur persönlich, sondern im gesellschaftlichen Kontext auch immer im Wandel: Was heute in der Mehrheitsgesellschaft als kinky gilt, kann in 5 Jahren Normalität sein. Was für dich kinky ist, kann für eine andere Person nicht-kinky sein. Für manche Menschen ist penetrativer Sex oder kuscheln kinky, für manche ist das Sich-unterwerfen einer dominanten Person (submissive sein) und Kontrolle abzugeben nicht kinky. Was im Westen als Kink gelabelt und konstruiert wird, kann und muss in anderen Kulturen nicht unbedingt als Kink gelten, sondern kann da die Norm sein. Was im Westen hypersexualisiert wird, wie zum Beispiel Sprache, Tanzrichtungen- bzw. bewegungen und Kleidung, muss in anderen Kulturen nicht kinky sein.

Kink kann Dinge umfassen wie Age Play (Altersrollenspiel), Wax Play (Wachs-Spiel), Dominant/Submission-Dynamiken (Rollenspiele, der eine Person die dominante Rolle übernimmt und sich die andere Person unterwirft), Sadomasochismus (Schmerz und Bestrafung für sexuelle Erregung), Voyeurismus (Zuschauen von sexuellen Handlungen), Exhibitionismus (Zeigen von sexuellen Handlungen), Bondage (das Fesseln einer anderen Person für sexuelle Erregung) und vieles mehr.

Es ist ein Match!

Jede Person, unabhängig von ihrer Sexualität und ihrem Gender, hat eine einzigartige und vielfältige Bandbreite von sexuellen Vorlieben und Abneigungen. So wie Intitmität ohne Sex und Sex ohne Intimität für Menschen existieren kann, kann auch Kink ohne Sex und Sex ohne Kink existieren. Und auch wenn es für viele Menschen zunächst unvorstellbar scheint: Asexualität und Kink sind ein gutes Match.

Während beispielsweise die Vorstellung vorherrscht, dass BDSM sich allein auf Leder, Schmerz und Bestrafung bezieht, umfasst BDSM viele verschiedene Level, die alle auch auf eine nicht-sexuelle Art genossen und praktiziert werden können. BDSM umfasst sensuelle, sexuelle, physische, emotionale und psychische Aspekte. Es kann eine körperliche Ebene einnehmen, aber BDSM kann sich auch im Alltag zeigen. Ein konkretes Beispiel: Es gibt einvernehmliche Dynamiken, bei der eine Person die Finanzen der anderen Person verwaltet und kontrolliert.

Asexuelle Menschen haben ein besseres (Fein-)Gefühl für verschiedene Formen von Intimitäten und Begierden, weil sie sich aufgrund ihrer Sexualität mehr mit den Differenzierungen und Überschneidungen auseinandersetzen.  

Asexuelle Menschen haben ein besseres (Fein-)Gefühl für verschiedene Formen von Intimitäten und Begierden, weil sie sich aufgrund ihrer Sexualität mehr mit den Differenzierungen und Überschneidungen auseinandersetzen.  Wenn Mainstream-Medien Themen zu Kink und Asexualität behandeln, dann verschmelzen die Grenzen zwischen sensuellen und sexuellen Erfahrungen. Sensuelle Erfahrungen (sanftes Streicheln, Sinne, Massage, Gerüche, Geschmäcke, Geräusche, usw.) sind nicht zwangsläufig sexuell. Sie können entspannen und einen meditativen Charakter haben. Sexuelle Erfahrungen hingegen machen horny, feucht, hart und Lust auf Sex. Ein Zungenkuss kann Teil des sexuellen Vorspiels sein, während es für eine andere Person einfach nur ein intensiver Kuss ist. Während ein Streicheln am Po ein schönes Gefühl für eine Person ist, kann es  eine  andere Person geil auf Sex machen. Für manche Menschen ist Rope Play gar nicht sexuell, während es für andere eine Form des erotischen Vorspiels sein kann. Manche Personen agieren in Rope Play aus sensuellen Gründen, weil sie das Gefühl des Reibens der Seile auf der Haut mögen und den psychologischen Aspekt genießen, wenn sie gefesselt werden. 

Die Grenze zwischen sensuell und sexuell variiert von Person zu Person. Viele Aces mögen BDSM aufgrund des psychologischen Aspekts: die Übernahme oder Abgabe von Kontrolle und das Wechselspiel zwischen Machtverhältnissen. Wenn mensch also genauer hinschaut und Asexualität als ein Spektrum betrachtet, das sich außerhalb von und parallel zu Allosexualität und normativen Vorstellungen von Sex und Intimität bewegt, dann macht es mehr als Sinn, dass Aces kinky sein können.