Ein Rollstuhl von hinten mit Spikes an den Griffen.
Politisch fehlt oft der Wille zur Gleichberechtigung behinderter Menschen.
Neben den Strukturen gibt es auch auf individueller Ebene viel Ableismus. © Dana Kearley

Stell dir vor, du bist 38 Jahre, FLINTA, gesund und nicht behindert. Du erkrankst schwer an Covid, weshalb du ins Krankenhaus musst. Mit Ärzt*innen hattest du bislang nicht viel zu tun. Aber du vertraust darauf, dass du in guten Händen bist. Neben dir auf dem Zimmer liege ich, Anne. Ich bin genauso alt wie du und mag dieselben Dinge. Generell unterscheidet uns nicht viel, nur dass ich eine Behinderung habe, die dazu führt, dass ich ein Lungenvolumen von nur 15 Prozent habe und sowieso nachts beatmet werde. Unser Zustand verschlechtert sich gleichzeitig und die Ärzt*innen diskutieren, ob es Sinn macht, uns in ein künstliches Koma zu versetzen und zu beatmen. Doch im ganzen Umkreis gibt es nur noch ein Beatmungsgerät. Wer soll es bekommen? Als nicht vorerkrankte/behinderte Person hast du auf dem Papier die besseren Chancen, die Infektion zu überstehen, deshalb würdest du das letzte Gerät bekommen. Wie fühlt sich das an?

Was wir hier beschreiben, ist eine Form von Ableismus, die Menschen mit Behinderungen während der Corona-Pandemie erlebt haben. Ableismus ist ein Begriff, der im deutschsprachigen Raum immer mehr Verwendung findet. In unserem Buch beschreiben wir Ableismus als die Diskriminierung von behinderten Menschen, basierend auf negativen Vorurteilen zugunsten nicht-behinderter Menschen. Er fußt auf der

Annahme, dass die Fähigkeiten der Dominanzgesellschaft denen der behinderten Menschen überlegen seien. Ableismus hat immer etwas damit zu tun, dass Menschen mit Behinderung strukturell benachteiligt werden, aber auch, wie Menschen mit Behinderung in Kultur und Medien dargestellt werden. Genauso hat Ableismus mit dem eigenen Handeln und der Reflexion von Privilegien und Vorurteilen zu tun. Oft sprechen wir davon, die „Barrieren in den Köpfen zu senken“. Das ist wichtig, doch gleichzeitig machen wir es der Dominanzgesellschaft damit einfach. „Barrieren“ klingt weniger bedrohlich als Diskriminierung und beschönigt dadurch die Ausschlussmechanismen, mit denen Menschen mit Behinderung alltäglich konfrontiert sind. 

Die Debatte um die Triage während der letzten Jahre war das Paradebeispiel für Ableismus. Viele Menschen hatten vor Covid noch nie den Begriff Triage gehört, weil wohlhabende Länder wie Deutschland nur bei Zugunglücken oder ähnlichen Katastrophen rationieren müssen, wer medizinisch …