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Nackt, makellos und weiß – unzählige Frauenbilder in dieser Art hängen an den Wänden europäischer Kunstmuseen. Obwohl eine radikale Neuinterpretation des weiblichen Akts schon im 20. Jahrhundert begann, dominieren klassische Geschlechtervorstellungen die Kunstwelt bis heute. Zeit für eine Gegenerzählung.

Welche sozialen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen eurozentrische Körper- und Schönheitsvorstellungen haben, diskutieren Missy-Mitherausgeberin und -Redakteurin Sonja Eismann und Missy-Autorin Josephine Papke im Podcast „Entblößt! Nackte Tatsachen zu nackten Körpern“ des LWL-Museums für Kunst und Kultur Münster. Dort ist aktuell und noch bis zum 14. April die Ausstellung „Nudes“ in Kooperation mit der Tate, London zu sehen.

Die amerikanische Künstlerin Alice Neel (1900-1984) ist eine der ersten, die mit der konventionellen Darstellung makelloser Frauenkörper bricht. Frustriert über die Ausgrenzung Schwarzer Künstler*innen in den USA der 1960er-Jahre und über feststehende weibliche Stereotype zeichnet Neel ungewöhnlich realistische Bilder. Ihre Porträts und Körperdarstellungen sind radikal, unbeschönigt, persönlich und echt. So malt sie 1930 ihre Freundin Ethel Ashton. Als das Bild entsteht, kennen die beiden sich schon seit Jahren. Sie haben gemeinsam an der Philadelphia School of Design for Women studiert. Das hält Neel jedoch nicht davon ab, Ashtons Körper schonungslos ehrlich darzustellen: Ihre großen Brüste hängen über dem Bauch herab, darunter zu sehen sind Falten und Fettrollen. Die Gesichtszüge wirken verzerrt, während das von rechts einfallende, grelle Licht die Hautfalten und Fülle des Körpers unterstreicht. Neel setzt der konventionellen Darstellung weiblicher Nacktheit hier eine entschieden feministische Perspektive entgegen. Sie malt ihre Freundin nicht, um jemandem zu gefallen, nicht einmal dem Modell selbst. Denn Ashton soll nach einem ersten Blick auf die Leinwand wütend aus dem Atelier gestürmt sein. Die Kunstwerke von Neel können auch als politische Statements gelesen werden. Denn die Künstlerin interessierte sich für alle Menschen gleichermaßen, ungeachtet ihrer Herkunft, Race, sexuellen oder politischen Orientierung: Sie malte Einwanderer und Einwanderinnen, Straßenkinder, Bettler*innen und Demonstrant*innen ebenso wie Freund*innen und Verwandte. Während in den USA nach rassistischen Kategorien getrennt wurden, präsentiert Neel auf ihren Gemälden auch People of Color.

Gemälde von Alice Neel, zu sehen ist die nackte Ethel Ashton
Alice Neel, Ethel Ashton, 1930, Tate. Presented by the American Fund for the Tate Gallery, courtesy of Hartley and Richard Neel, the artist’s sons 2012, © The Estate of Alice Neel, Courtesy The Estate of Alice Neel and David Zwirner, Foto: Tate

Mit einem neuen Medium beginnt etwa 80 Jahre später Zanele Muholi künstlerisch zu arbeiten. In Fotografien und Filmen setzt sich Muholi, visual activist, mit den Erfahrungen von Schwarzen queeren Personen in Südafrika und anderen afrikanischen Ländern auseinander. In einem sozialen und politischen Umfeld, in dem Lesben, Schwule und trans Personen diskriminiert und verfolgt werden, sind die künstlerischen Arbeiten ein Akt der Selbstbehauptung und des Empowerments. Muholi beschäftigt sich intensiv mit der Darstellung und Identität des Schwarzen Körpers in Verbindung mit historischer und gegenwärtiger Diskriminierung, insbesondere den lebensgefährlichen Auswirkungen der Apartheid.

In der Fotoserie Somnyama Ngonyama, isiZulu: Begrüßt die dunkle Löwin, hat sich Muholi 365-mal an verschiedenen Orten fotografiert. Muholi präsentiert den eigenen nackten, nicht-binären Schwarzen Körper in Schwarz-Weiß-Fotografien. Die Serie spielt mit den traditionellen Konventionen des Genres: Die Räume sind unkonkret, sodass die abgebildete Person ganz im Zentrum steht. Die Selbstporträts sind politischer Aktivismus, Widerstand und Handlung zugleich. Im Selbstporträt Thembeka I, New York, Upstate, isiZulu: Sei ehrlich, fordert Muholis durchdringender Blick die Betrachtenden auf, die eigene Präsenz anzuerkennen, und in einen Dialog zu treten. Hinsehen war und ist weltweit eine Geste des Widerstands für kolonisierte Schwarze. Das Foto hat eine satte und kompromisslose Schwärze, die dadurch erreicht wird, dass Muholi alle Glanzlichter abschwächt. Ein weißer, floral gemusterter Häkelläufer auf dem Kopf rahmt das Gesicht und die Brüste.

Schwarz-Weiß-Fotografie von Zanele Muholi, der Oberkörper ist nackt auf dem Kopf trägt Muholi ein weißes Häkeltuch und blickt in die Kamera.
Zanele Muholi, Thembeka I, New York, Upstate, 2015, Tate. Purchased with funds provided by the Africa Acquisitions Committee 2017 © Zanele Muholi, Courtesy of the artist and Yancey Richardson, New York

Mit der Fotografie nutzt Muholi ein vermeintlich objektives Medium, das rassistisch und kolonial instrumentalisiert wurde. In Südafrika setzte das Apartheid-Regime sogenannte „passbooks“ mit Porträtfotos ein, um die Schwarze Bevölkerung aus Gebieten zu verdrängen, zu überwachen und in ihrer Freiheit zu beschneiden. Zudem spielt die Fotoserie auf die ethnologische Dokumentarfotografie an, die Schwarze Menschen objektifiziert, exotisiert und in eine Opferrolle drängt.

Heute ist Muholi eine*r der bedeutendsten Künstler*innen der Gegenwart. In Selbstporträts zeigen und befragen Künstler*innen wie Alice Neel oder Zanele Muholi den weiblich gelesenen Körper und erzeugen so einen Tabubruch. Muholi fordert Sichtbarkeit für den kolonialisierten Schwarzen Körper ein, die nicht selbstverständlich ist. Neel greift den patriarchalen Blick auf Frauen auf: von erhöhter, dominanter Position wird ihr Körper unvorteilhaft inszeniert. Die hängende, gealterte Brust fordert die voyeuristischen Sehgewohnheiten heraus.

Die entblößte Brust verortet in beiden Werken die Weiblichkeit*. Der direkte Blick steht für selbstermächtigte Identität. Wenn FLINTA nackt und selbstbestimmt im Museum hängen, verändern sie die heteropatriarchale Wahrnehmung des weiblich gelesenen Körpers. Der Ballast jahrhundertelanger Vereinnahmung wird in ihren* Werken deutlich. Das wissen die Künstler*innen, aber sie setzen Nacktheit als radikales Mittel des künstlerischen Selbstausdrucks ein und unterwandern damit tradierte Schönheitsideale.

Josephine Papke und Sonja Eismann bei der Aufnahme der Podcast-Reihe „Entblößt! Nackte Tatsachen zu nackten Körpern“

Der Podcast „Entblößt! Nackte Tatsachen zu nackten Körpern“ greift diese und weitere Kunstwerke auf und setzt sie in einen gesellschaftlichen Kontext. Er ist eine Kooperation vom LWL-Museum für Kunst und Kultur mit dem Missy Magazine zur Ausstellung „Nudes“ (bis 14.4.24) in Kooperation mit Tate, London.