Deep Talk mit Moor Mother
Von

Vor dem Gespräch mit Camae Ayewa alias Moor Mother bin ich darauf eingestellt, dass es ein Deep Talk werden wird. Schließlich ist ihr Album deep: Die Sounds fangen mal sanft an und gehen über in Klangcollagen, mal eingängig, mal experimentell oder auch explosiv. Die Lyrics: auch deep. Das verrät schon der Name des Albums „The Great Bailout“. Denn der bezieht sich auf eine der perfidesten Episoden der britischen Kolonialgeschichte, die den Kern des neunten Soloalbums von Moor Mother ausmacht. Als „Great Bailout“ bezeichnet die Musikerin Kompensationszahlungen an ehemalige Sklavenhalter*innen, nachdem die Sklaverei 1833 im britischen Empire gesetzlich abgeschafft wurde. Kompensationen gingen z. B. an die Famlie des ehemaligen Premierministers David Cameron oder des Schauspielers Benedict Cumberbatch. Die genaue Liste derer, die diese Zahlungen erhalten haben, hält
die britische Regierung bis heute geheim. Den Kredit, den das Königreich in den 1830er-Jahren für den „Bailout“ im Wert von heute über 16 Milliarden Pfund aufnahm, hat es erst 2015 abbezahlt und zwar mit Steuergeldern. Also auch mit der Arbeit der sogenannten Windrush Generation, jener Gastarbeiter*innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre hinein aus den ehemaligen britischen Kolonien, vor allem aus Jamaika und anderen karibischen Inseln, angeworben wurden. Die tatsächlichen Opfer der Versklavung und ihre Nachfahr*innen haben bis heute keine Kompensation von der britischen Regierung erhalten. Auf „The Great Bailout“ verarbeitet die in Philadelphia ansässige Künstlerin, die aus DIY-Punk, Free-Jazz und Industrial-HipHop-Szenen kommt, diese Themen musikalisch. Moor Mother schafft es, politisch und deep zu sein, ohne uns dabei mit Aussichtslosigkeit zu erdrücken. Ihr Schaffen trifft dich, aber tut nicht nur weh. Im Gegenteil: Wer sich darauf einlässt, wird in eine liebevolle, musikalische Diskuss…