Ausstellungsansicht: On Rape – And Institutional Failure/ Unter der Oberfläche.
Foto: David von Becker

*Advertorial

Die katalanische Künstlerin Laia Abril präsentiert in ihrer Ausstellung On Rape – And Institutional Failure bei C/O Berlin eine eindringliche Assemblage aus eigenen und gefundenen Fotografien, Berichten, Zitaten, Videos und Artefakten. Sie erforscht damit die Thematik strukturell ermöglichter Vergewaltigung. In ihrer umfassenden Recherchearbeit, die verschiedene Zeithorizonte, Kulturpraktiken und Medien umfasst, deckt sie die Normalisierung misogyner Denk- und Handlungsweisen in Gesellschaft und Politik auf. Dabei verzichtet sie bewusst auf explizite Darstellungen sexualisierter Gewalt und richtet den Fokus stattdessen auf tradierte Vorstellungen, Gesetze und institutionelles Versagen. Diese Elemente erhalten die Machtdynamiken und Abhängigkeitsverhältnisse aufrecht, die Vergewaltigung begünstigen. Diese Arbeit markiert das zweite Kapitel ihres Langzeitprojekts A History of Misogyny, in dem Abril auf die vielfältigen Formen systemischer Gewalt gegen Frauen reagiert. Inmitten der oft empfundenen Sprachlosigkeit zu diesem Thema präsentiert sie eine bewegende, zugleich politische Erzählung und ruft zu einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung auf. Die Kuratorin der Ausstellung Sophia Greiff (C/O Berlin) hat mit Laia Abril ein Interview geführt, in der sie die Motivation und Methoden von Abrils Arbeit eingehend diskutieren.

Sophia Greiff: Laia, in allen Deinen Projekten machst Du verborgene Geschichten sichtbar und stellst komplexe ethische und moralische Fragen zur Diskussion. Wie hat sich Deine Arbeit in diese Richtung entwickelt, und was interessiert Dich daran?
Laia Abril: Ich hatte immer das Gefühl, dass die Dinge, die mir wichtig sind, die mich berühren, in den Nachrichten und im klassischen Journalismus nicht vorkommen. Diese fehlende Sichtbarkeit brachte mich dazu, dorthin zu gehen, wo es unbequem ist, und dieses Interesse wurde von Projekt zu Projekt größer. Das ist kein leichter Weg, und in gewisser Wei- se läuft mein Ansatz der Fotografie völlig zuwider: Ich versuche sichtbar zu machen, was man nicht sehen kann. Es gibt sehr vieles, das sich wesentlich einfacher fotografieren ließe, Dinge, die sich nicht der Sichtbarkeit entziehen. Aber zur Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie gehört für mich auch zu hinterfragen, was wir zu sehen bekommen und worauf wir reagieren können. Und was wir nicht zu sehen bekommen, was wir uns lieber nicht anschauen. Das, was wir nicht sehen wollen – oder nicht sehen sollen –, bleibt in der Gesellschaft unsichtbar. Und auch für das Medium bleibt es unsichtbar. Ich finde es faszinierend, welche Wirkung es auf Menschen haben kann, wenn man Dinge, die ihnen wichtig sind, sichtbar macht. Wie berührt sie sind, wenn etwas Schmerzhaftes oder etwas, das sie an ihrem persönlichen Weg oder ihrem Leben nicht verstehen, auf den Tisch kommt. Es wirkt fast wie ein Heilungsprozess, eine Katharsis – für andere, aber auch für mich.

SG: Deine bisherigen Projekte stützen sich alle auf sorgfältige, umfangreiche und meist langfristige Recherchen. Für On Abortion hast Du mit zahlreichen Fachleuten, Wissenschaftler:innen und Betroffenen weltweit gesprochen, Du hast Dokumente und Daten, Gegenstände und Geschichten gesammelt. Warum hast Du Dich entschlossen, diese Unterlagen öffentlich zu machen?
LA: Ich glaube, das hat sehr viel mit dem Gedanken zu tun, dass wir uns den Dingen stellen müssen. Der englische Ausdruck „to face“ trifft es ganz gut: Wir müssen den Dingen ins Auge sehen. Denn wir können zwar über bestimmte Sachen nachdenken, wir können sie uns vorstellen, aber manchmal ändert sich unsere Perspektive erst dann, wenn wir sie tatsächlich sehen. Sie werden in unseren Köpfen zu etwas Realem. Als ich zum Beispiel vor ungefähr zehn Jahren mit der Recherche für mein Langzeitprojekt On Eating Disorders begann, war die Pro-Anorexie-Community noch nicht so präsent, wie sie es heute bei Instagram und in anderen sozialen Netzwerken ist. Nur wenige Menschen außerhalb dieser Community hatten die Selbstporträts gesehen, die diese Mädchen zur gegenseitigen Motivation online teilten. Daher fühlte ich mich moralisch verpflichtet, mich dieses Problems anzunehmen und es zu dokumentieren, um darauf aufmerksam zu machen. Bei meiner Arbeit On Abortion dagegen sind viele der Bilder nachgestellt. Aber auch Text spielt eine große Rolle, sowohl bei meinen Recherchen als auch bei der fertigen Arbeit. Ich nutze alle Medien. Ich möchte verschiedene Aspekte einer eigentlich nicht sichtbaren Geschichte zu einem Bild zusammenfügen. Indem ich diese Geschichte bildlich darstelle, mache ich sie gewissermaßen real, ich führe sie direkt vor Augen. […]

SG: Da wir eben über die Recherche sprachen: Eigentlich hast Du Journalismus studiert, bevor Du zur Fotografie kamst. Wie hat das den Umgang mit Deinem Material und Deinen Themen beeinflusst, und inwieweit setzt Du bei Deiner Arbeit journalistische Methoden ein?
LA: Für mich war die entscheidende Frage immer: Worüber ist es wichtig zu berichten? Ich habe nie verstanden, warum ich mich zwischen Schreiben und Fotografieren entscheiden sollte oder zwischen der Einhaltung von Regeln und dem Zeigen von Dingen, die mir wichtig sind. Ich interessiere mich nicht für die Oberfläche, ich möchte das Unsichtbare zeigen, das darunter liegt, und das ist mit den strengen Regeln des Journalismus nur schwer zu erreichen. Als ich bei der Zeitschrift Colors arbeitete, habe ich gelernt, dass ich einige dieser Regeln brechen oder infrage stellen und dabei trotzdem der Geschichte treu bleiben kann. Der moralische Kompass und der ethische Kodex des Journalismus sind für mich von großer Bedeutung, und ich habe sie immer im Blick, weil meine Themen äußerst heikel sind. Aber künstlerische Mittel einsetzen zu können, um die Geschichte so gut wie möglich zu erzählen, ist sehr befreiend, und daher bezeichne ich das Ganze lieber als Kunst. Außerdem bekam ich vom Schreiben Kopfschmerzen. […]