Eine weiblich gelesene Person sitzt in einem Restaurant bei Kerzenschein und lächelt.
© TM & © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc.

Am I OK?
Seite an Seite bewältigen Lucy (Dakota Johnson) und Jane (Sonoya Mizuno) das Leben ihrer frühen Dreißigerjahre, in denen es nur so von Umbrüchen und Lebensfragen wimmelt. Jane will einen Job in London annehmen und müsste dafür aus L. A. wegziehen und Lucy gesteht sich endlich ein, dass sie eigentlich Frauen daten will. Der Film „Am I OK?“ von dem Ehepaar und Regieduo Tig Notaro und Stephanie Allynne erzählt von dem inneren und äußeren Chaos des späten Erwachsenwerdens und davon, dass dieses Chaos nie so richtig aufhört. Leider bleibt es dabei oberflächlich: Das Duo greift auf Klischees zurück, um Lucys Coming-out zu erzählen, und inszeniert die Freundinnenschaft im Gewand einer unoriginellen RomCom. Dakota Johnson, die die Rolle der Lucy äußerst verlegen und humorvoll spielt, sorgt für deutlich mehr Lacher als die im Drehbuch eingeplanten Comedy-Rollen, wie die der überdrehten Sportkurslehrerin oder des albernen Vorgesetzten. Die Regieentscheidung, die Konflikte der Protagonistinnen nur anzudeuten und nicht weiter zu verhandeln, verfehlt das Potenzial einer guten Coming-of-Age-Story, sodass „Am I OK?“ ein seichtes Drama mit schwachen Komödieneinsätzen wird. Sofia Paule 

„Am I OK?“ USA 2022 ( Regie: Stephanie Allynne und
Tig Notaro. Mit Dakota Johnson, Sonoya Mizuno, Jermaine ­Fowler, Molly Gordon u. a., 86 Min. ) 

Eine ältere Frau sitzt am Essenstisch. Vor ihr stehen viele Obstteller und eine große Flasche mit dunkelroter Flüssigkeit.
© 2024 Alamodefilm

Ein kleines Stück vom Kuchen
Was Mahin überhaupt nicht mag, ist, morgens früh aufzustehen. Die siebzigjährige Witwe lebt allein in ihrer Wohnung in Teheran. Ihr Mann ist seit Langem tot und ihre beiden Kinder sind aus Iran ausgewandert. Wenn sie aufwacht, geht sie in ihren Garten und gießt ihre Blumen; abends schaut sie sich gerne kitschige Filme an. So läuft Mahins eintöniger Alltag. Doch eines Tages beschließt sie, ihr Leben von Grund auf zu ändern: Sie lackiert ihre Nägel, schminkt sich und begibt sich auf den Straßen Teherans auf Partnersuche. In einem Restaurant für Rentner entdeckt sie schließlich den Taxifahrer Faramarz. „Magst du mit zu mir nach Hause kommen?“, fragt sie ihn – und nimmt ihr Liebesleben in die Hand. Die Tragikomödie „Ein kleines Stück vom Kuchen“ erzählt auf einfache und lineare Weise eine universelle Geschichte. Sie zeigt Einsamkeit, Liebe im Alter und die Angst davor, allein zu sterben. Der neue Film des Regieduos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha unterscheidet sich dabei deutlich von anderen iranischen Filmen, die in den letzten Jahren auf internationalen Festivals gezeigt wurden: Die Erwartung, dass iranisches Kino nur bittere und hochdramatische Erzählungen hervorbringt, unterläuft „Ein kleines Stück vom Kuchen“ plötzlich. Mahin und ihr One-Day-Stand Faramarz zaubern mit ihrer angenehmen Leichtigkeit ein Lächeln auf die Gesichter der Zuschauer*innen, bringen sie manchmal zum Lachen – und präsentieren der Welt eine neue Sicht auf das iranische Leben. Doch es wäre kein iranischer Film, wenn es am Ende nicht doch noch ein bisschen Drama gäbe … Negin Behkam

­„Ein kleines Stück vom Kuchen“ IRN/FR/SWE/DE 2024 ( Regie: Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Mit Lily Farhadpour, Esmail Mehrabi u. a., 97 Min. )

Eine Frau tanzt ausgelassen auf einer Straße umgeben von vielen klatschenden Menschen.
© MUBI

Crossing: Auf der Suche nach Tekla
„Both Georgian and Turkish are gender-neutral languages; they make no distinctions of grammatical gender“, steht auf der Leinwand, bevor eine ältere Frau mit erhobenem Kopf und festem Schritt am Meer entlanggeht. Dieser Hinweis ist für den Film wichtig, der vermutlich insbesondere außerhalb der Türkei und Georgiens laufen wird. Lia ist der Name der Frau am Meer und sie ist auf der Suche nach ihrer Nichte Tekla. Die Suche führt sie gemeinsam mit Achi, einem Bekannten Teklas, von Georgien nach Istanbul in eine Community von trans Frauen. Regisseur Levan Akin wendet viel Zeit und Sensibilität dafür auf, Care, Solidarität und Community zu zeigen – so unterstützt die Anwältin Evrim ihr Umfeld, das immer wieder ins transfeindliche Visier der Polizei gerät, rechtlich und sorgt außerdem dafür, dass die Kinder auf den Straßen des Viertels Essen und Kleidung haben. Auch Lia und Achi werden Zeug*innen dieser Liebe und Fürsorge und so steigt Lias Hoffnung, ihre Nichte zu finden. Zu Beginn der Reise ist Lia Achi gegenüber streng und misstrauisch, doch er ist auch ein Stückchen Vertrautheit in einer großen anonymen Stadt, deren Sprache sie nicht spricht. Und so werden die beiden langsam über ihre Differenzen und den Altersunterschied hinweg Verbündete. Wie der Filmtitel andeutet, geht es in „Crossing“ um verschiedene Überschreitungen: von Ländergrenzen, aber auch den sich selbst auferlegten. Lisa Tracy
Michalik

­„Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ SE/TUR/DK/FR/GEO 2024 ( Regie: Levan Akin. Mit Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanlı u. a., 106 Min., Start: 18.07. im Kino; 30.08. auf MUBI )

Ein junges Mädchen mit roten langen Haaren, Brille und mit Fahrradhelm steht im Vordergrund. Hinter ihr stehen weitere junge Jungendliche, die erstaunt in die gleiche Richtung schauen.
© Der Filmverleih


Dancing Queen
Mina, zwölf, eine gute Schülerin und eine (durchaus akzeptierte) Außenseiterin, ist verliebt in den angesagten jugendlichen HipHop-Tänzer E. D. Win. So kommt es, dass sie sich zu einem Casting für sein Tanzteam anmeldet. Sie hat keinerlei Tanzerfahrung und weicht zudem vom üblichen Bild der Tänzer*innen insofern ab, dass sie mehr Kilos auf die Waage bringt und eine Brille trägt. Aber sie ist entschlossen, mutig und hat einen Tanzcoach, der sie ermuntert, dabeizubleiben. So schafft sie es tatsächlich ins Team, doch ihr Idol ist eher argwöhnisch. Um aufzuholen, braucht sie eine*n Trainingspartner*in. Ihr bester Freund ist dafür nicht zu haben. Also bittet sie ihre Oma, eine ehemalige Tänzerin mit viel Temperament, um Hilfe. Die startet das Training zunächst mit klassischem Ballett, als Trainingsraum dient der Dachboden. Mina passt ihren Look dem HipHop-Stil an, wechselt zu Kontaktlinsen und fängt an zu hungern. Dabei gerät sie erst mal an ihre Grenzen und erlebt einige Dämpfer, verliert aber ihr Ziel nie aus den Augen. Schön ist, dass das Szenario realistisch bleibt und das Verhalten von Minas Umfeld – anders als etwa in „Little Miss Sunshine“ oder „Billy Elliot“ – nie für mehr Drama übertrieben wird, dabei aber auch nicht naiv oder pädagogisch daherkommt. Ein warmherziger und charmanter Familienfilm mit guten Darsteller*innen.
Imke Staats 

­„Dancing Queen“ NOR 2023 ( Regie: Aurora Gossé. Mit Liv Elvira Kippersund Larsson, Anne Marit Jacobsen, Anders Baasmo Christiansen u. a., 92 Min., Start 18.07. ) 

Eine weiblich gelesene Person mit Verband um den Kopf sitzt an einem Tisch und starrt nach vorne. Sie hat den rechten Arm verbunden, der von einer schwarzen Schiene gehalten wird.
© WELTKINO FILMVERLEIH GMBH

Cuckoo
Sanfte Streicher untermalen musikalisch das deutsche Alpenvorland, in das Gretchen (Hunter Schafer) zusammen mit Vater, Stiefmutter und Halbschwester nach dem Tod ihrer Mutter zieht. Umgeben von Idylle und Ruhe beginnt der Überlebenskampf der 17-Jährigen gegen ihre Familie und die Gefahr vor Ort: eine Verschwörung um Frauenexperimente, in denen auch der skrupellose Resortbesitzer Herr König (Dan Stevens) involviert ist. Inmitten von besessenen Frauen, die schreien, als ob sie die Stimmbänder einer Krähe hätten, und deren Körper durchsichtigen Schleim produzieren, bleibt ernst zu nehmender Horror aus. Die Entscheidungen, die Opfer des Experiments nur weiblich zu besetzen und Gretchen als junge Frau zu zeichnen, die zu neugierig ist für diese Welt, reproduzieren das typische, misogyne Bild von verrückt gewordenen Frauen. Glücklicherweise verleiht Schafer trotz allem ihrer Rolle Stärke und Varianz, die in Singers unschlüssigem Stück deutlich heraussticht. Die lückenhafte Handlung ist weder lustig noch gruselig – auch nicht, als Gretchen aufgeregt erzählt, dass ihre Halbschwester im Bauch ihrer Mutter ihren Zwilling gegessen hat. Der deutsche Regisseur Tilman Singer schafft mit „Cuckoo“ eine Klischeeschleuder, die unkontrolliert in alle Richtungen schlägt und dabei nicht einmal für hohen Unterhaltungswert sorgt. Sofia Paule

­„Cuckoo“ DE/USA 2024 ( Regie: Tilman Singer. Mit Hunter Schafer, Dan Stevens, Jessica Henwick, Marton Csókás, Jan Bluthardt u. a., 102 Min., Start: 29.08. )

Vier Personen stehen auf einem (Hinter)Hof und schauen einander an. Die Person in der Mitte trägt ein rotes Kleid und Sonnenbrille und telefoniert.
© W-FILM Distribution

More Than Strangers
Die Landschaft rauscht vorbei. Im Wagen herrscht betretenes Schweigen, gelegentlich unterbrochen durch Handyklingeln oder ins Leere laufende Small-Talk-Versuche. Sylvie Michels Roadmovie „More Than Strangers“ beginnt wie eine gewöhnliche Mitfahrgelegenheit von Berlin nach Paris mit fünf Fremden aus unterschiedlichen Ländern. Aber sie haben nicht nur Reisegepäck dabei, sondern auch ihre persönlichen kleinen und großen Dramen, die sich nach und nach entfalten. Es geht um Jobs, Beziehungen, aber auch um Migrationspolitik. Einer der Mitfahrenden ist, wie sich herausstellt, ein Geflüchteter aus Ghana, der die Hilfe der Gruppe braucht, um nach Frankreich zu kommen, wo er eine ihm unbekannte Frau heiraten soll, um in Europa bleiben zu können. Doch würde die Mitfahrgelegenheit zur Schleusung werden, hingen sie alle mit drin, wenn die Polizei sie erwischen würde. Pausen, Umwege und unvorhergesehene Ereignisse ziehen die Reise in die Länge; dennoch ist der Film kurzweilig. Als Zuschauer*in meint man fast, bei diesem intensiven Kammerspiel mit im engen Wagen zu sitzen – und kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie man in einer solchen Situation, die durch die Hintergründe einzelner Figuren noch komplexer wird, selbst handeln würde. Die Gruppe wird trotz aller Egoismen, Unterschiede und Konflikte eine Antwort für sich finden. Ana Maria März

„More Than Strangers“ DE/GR 2023 ( Regie: Sylvie Michel. Mit Cyril Gueï, Smaragda Karydi, Julie Kieffer, Samuel Schneider, Léo Daudin u. a., 100 Min., Start: 22.08. )

Zwei Frauen mit Moped (ca. 1975) auf einem schwarz-weiß Archivbild.
© Majestic / Deutsche Fotothek / Fotograf: Gerhard Weber – Frauen mit Moped (ca. 1975).

Die Unbeugsamen II: Guten Morgen, ihr Schönen!
Es gibt Bücher, die liefern den Stoff für gesellschaftliche Umbrüche. Eines dieser Bücher ist „Guten Morgen, du Schöne“ von Maxie Wander, das 1977 erstmals in der DDR erschien. In den darin versammelten Protokollen sprechen Frauen verschiedenen Alters und Berufs über ihren Alltag, reflektieren ihren Lebensweg und wagen es, selbstbewusst zu träumen. Das Buch wurde unzählige Male verkauft, verborgt, verschenkt und in aller Öffentlichkeit diskutiert. In seiner Unmittelbarkeit hat es unhintergehbar die Frauenemanzipation in der DDR beschleunigt. Der Dokumentarfilmer Torsten Körner, der vor drei Jahren in „Die Unbeugsamen“ den Politikbetrieb der alten Bundesrepublik aus weiblicher Perspektive schildern ließ, lässt in diesem Folgefilm 15 Frauen über ihr Leben in der DDR sprechen. Statt Selbstporträts aufzuzeichnen, setzt Körner Aussagen und Positionen zu verschiedenen Themen wie Arbeit, Abtreibung, Frauentag oder Friedensbewegung zu einem Mosaik zusammen, das er durch zeitgenössisches Film- und Fotomaterial ergänzt. Dadurch multiplizieren sich die Perspektiven in eine Vielstimmigkeit, in der sowohl die absurden wie die furchtbaren, aber auch die solidarischen Seiten des DDR-Alltags benannt werden. Fernab von Ostalgie ist „Guten Morgen, ihr Schönen!“ ein respekt- und teilweise sogar humorvoller filmischer Essay über Frauenleben in einem Land, das es nur noch als Erinnerungsort gibt. Lene Zade

„Die Unbeugsamen II: Guten Morgen, ihr Schönen!“ DE 2024
( Regie: Torsten Körner. 104 Min., Start: 29.08. )

Diese Texte erschienen zuerst in Missy 04/24.