Es ist ein Schwarz-Weiß-Bild, das Joan Nestle und Mabel Hampton von der Seite zeigt. Im Hintergrund sind verschwommene Menschen und Bäume zu sehen.
Joan Nestle and Mabel Hampton, 1980, Photo by Morgan Gwenwald, courtesy Lesbian Herstory Archives

Geschichte ist nichts Abstraktes. Wir alle hinterlassen unsere Spuren. Joan Nestles Spuren sind tief, denn sie gräbt nicht nur verborgene Erinnerungen aus, sie archiviert sie auch. Als 84-jährige lesbische jüdische Fem ist sie selbst lebendiger Teil eines reichen queeren Erbes. Und obwohl ihre Texte in den letzten Jahrzehnten auch in hiesigen lesbischen Zeitschriften und Büchern immer mal wieder auftauchten, wissen wir nicht viel über sie. Das soll sich nun ändern: Gerade ist ein Essayband mit 25 ihrer größtenteils zum ersten Mal ins Deutsche übersetzten Texte erschienen. Darin erzählt Joan Nestle von ihrem Leben, ihren Sehnsüchten und Politiken.

Geboren 1940 in der Bronx in New York in eine jüdische Arbeiter*innenfamilie, wuchs sie bei ihrer

verwitweten Mutter Regina auf. Ihre Kindheit war unbeständig: Der Bruder ging früh von der Familie weg und die Mutter war mit Geldverdienen beschäftigt. In einem der Texte schreibt Nestle über ihren ersten gemeinsamen Familienurlaub auf einer Ranch in Arizona. Seit ihrer Kindheit hatte sie von Pferden geträumt, wollte in die Weiten der Prärie reiten. Angekommen in der heißen Wüste, machten die Cowboys ihnen klar, dass sie nicht willkommen seien – es sei denn, sie verschwiegen ihr Jüdischsein und nähmen ihre Mahlzeiten entfernt von den anderen Gäst*innen ein. Die Nestles aber ließen sich nicht verleugnen und wechselten auf eine jüdische Ferienranch in der Nähe. Obwohl herzlich empfangen, drängte sich auch dort der Eindruck auf, nicht so richtig dazuzugehören: nicht elegant genug und kaum vertraut mit den Codes der wohlhabenden Gäste. 

Die Mühen der Mutter, über die Runden zu kommen, der offene Antisemitismus, aber auch die Erkenntnis, in der eigenen Community anzuecken, schienen Nestles Blick …