Wir reden selten über Behinderung, aber wenn wir es einmal tun, ist es schwierig, wieder damit aufzuhören. Deshalb müssen wir das auf 40 Minuten limitierte Zoom-Meeting dreimal neu starten. Wir liegen im Bett, Matter in der Schweiz, ich in Deutschland, und verheddern uns in unseren Erzählungen. Wie macht man einem anderen Menschen die eigene Erkrankung erfahrbar? Im September 2020 fing Selma Kay Matter an, als direkte Reaktion auf deren Post-Covid-Erkrankung, ein Buch zu schreiben. Das Chronic-Illness-Memoir „Muskeln aus Plastik“ erscheint nun bei Hanser Berlin. Darin verarbeitet Matter

den Krankheitsprozess. „Ich habe geschrieben, um klarzukommen. Als es mir so schlecht ging, dass ich nicht mal zum Briefkasten gehen konnte.“ Krankheit als Schreibimpuls ist für das Genre typisch: Mit der Krankheit verändert sich der Blick auf die Welt und auf sich selbst. Schreibend versuchte Matter, etwas über deren neue Realität zu erfahren und diese erfahrbar zu machen. 

„Muskeln aus Plastik“ bewegt sich stilistisch wie inhaltlich zwischen autofiktionaler Prosa und Essay. Die Hauptfigur trägt Matters Namen, ist ebenfalls an Post Covid erkrankt und nicht-binär, geht ins Gym und ist schwer verliebt in Aron, eine nicht-behinderte transmaskuline Person. In sechs Essays handelt Matter die Lücken aus zwischen der Erfahrung und dem Erfahrbarmachen, der Erkrankung und der Fitness, dem Weiblichen und dem Männlichen. An einer Stelle im Buch werden Matters Vornamen in zwei Figuren unterteilt: Selma ist die sick woman, Kay der gym boy – die Nichtbinarität im doppelten Sinne, sowohl was Geschlechtlichke…