Interview: Bahar Sheikh
Transkription: Luna Afra Evans

Auf „FC CHAYA“ geht es um lesbische und queere Beziehungen. Wie kam es dazu, dass du dich tiefergehend mit diesem Thema auf der Länge eines Albums beschäftigt hast?
Mir war es wichtig, dass das nächste Album, das ich kreiere, einen inhaltlichen Mehrwert hat. Einerseits wollte ich unbedingt ein R’n’B-Album machen, und andererseits wollte ich ein explizit queeres Album machen. So ist „FC Chaya“ entstanden.

In „Ebru’s Story“ rappst du darüber, dass du ein Doppelleben zwischen Familie und deinem queeren Dasein geführt hast. Inwiefern hat deine eigene Geschichte, dein eigenes Coming-out eine Rolle für das Album gespielt?
„Ebru’s Story“ ist wahrscheinlich für mich einer der wichtigsten Tracks auf dem Album und wahrscheinlich einer der wichtigsten Tracks, die ich überhaupt bisher geschrieben habe. Der ist entstanden, weil ich letztes Jahr ein Gespräch mit meiner Tante hatte, wo dieses Coming-Out stattgefunden hat, um das es auch in dem Song geht. Als ich das Album geplant habe, war es gar nicht vorhersehbar, dass wir dieses Gespräch führen werden.

Du rappst auf „Ebru‘s Story“ über Queersein in der alevitisch-kurdischen Community. Ist das Coming-Out ein Thema, was migrantische Communities anders betrifft?
Auf jeden Fall. Ich denke, als Kinder von Eltern, die migriert sind, und als Gastarbeiterkinder, liegt eine andere Erwartung auf uns.  Weil unsere Eltern so viel aufgeopfert haben, damit wir hier so ein Leben führen können, fühlt sich Queersein wie eine Enttäuschung gegenüber den Eltern an. Da lastet ein anderer Druck auf uns. Bei mir spielt Familie generell eine große Rolle. Und natürlich können auch andere Faktoren wie Religion da reinspielen. Aber das ist auch ähnlich bei weißen Deutschen, deren Eltern z.B. christlich-konservativ sind.

Dein Album heißt ja „FC Chaya“. Wer ist eigentlich eine Chaya für dich?
Ich habe viel darüber nachgedacht, wie man das am besten beschreibt. Kurz zusammengefasst, ist es eine Person, die sehr femme ist, aber trotzdem sehr rough.

Würdest du sagen, eine Chaya ist bei dir eine queere Figur?
Nee, Chayas können straight sein, die können queer sein, sie können cis sein oder auch nicht. Ich finde es nice, den Begriff aus dem cis-hetero Kontext rauszureißen. Ich würde selbst nicht sagen, dass ich eine Chaya bin, aber die Leute, auf die ich stehe, sind auf jeden Fall Chayas. Und deswegen fühlt sich das für mich auch natürlich an, das in einen queeren Kontext reinzubringen.

Der Song „Chaya’s Worldwide“ klingt ein bisschen wie ein Mackersong. Ich musste an „Area Codes“ von Ludacris und Nate Dogg denken.
Das ist funny, dass du das sagst. Der Song ist angelehnt an „Area Codes“ oder „Girls, Girls, Girls“ von Jay-Z. Aber ich wollte das aus einer queeren Perspektive erzählen. Und ich wollte, dass es nicht darum geht, dass ich all diese Girls kläre, sondern auf eine funny Art und Weise erzähle, wie ich Girls aus verschiedenen Städten wahrnehme. Aber nicht auf eine verachtende Art und Weise, wie es von männlichen Rappern oft gemacht wird. Auf dem Album gibt es auch den Song „Big Simpin“, der an „Big Pimpin“ von Jay-Z angelehnt ist.

„Simp“ ist in der Gaming-Szene eine abwertende Bezeichnung für Männer, die Frauen viel Aufmerksamkeit geben. Bei dir ist Simping etwas Positives und Gönnerhaftes. Sollten mehr Leute Simps sein?
Auf jeden Fall. Ich werde von meinen Friends kritisiert, dass ich beim Dating oder in Beziehungen simpe, aber ich mache das so gerne. Also, für mich bedeutet das einfach nur, dass ich gebe, ohne etwas zurückzuerwarten. Einfach nur, weil ich die Person toll finde oder weil die Person das verdient. Und ich weiß, dass viele Leute das ungern machen, weil sie Angst haben, verletzt zu werden. Oder auch, weil man nicht so dastehen wollen wie jemand, der viel in eine Beziehung investiert hat und am Ende einen Korb bekommt. Das macht einen verletzbar. Mir ist es  wichtig, diese Angst nicht zu haben, sondern das zu machen, was sich für mich natürlich anfühlt. Aber auf eine gesunde Art, ohne die eigenen Grenzen zu übergehen.

Auf dem Song „Lesbisch“ spielst du mit lesbischen Klischees. Es geht um mixed messages von einer hetero Frau, die einen Boyfriend hat. Wie kamst du dazu, über so eine Erfahrung zu schreiben?
Ich habe diese Erfahrung oft gemacht, vor allem als ich jünger war. Ich glaube, es ist eine Erfahrung, die viele Queers machen. Songs wie „Lesbisch“, versteht man am besten, wenn man die Nuancen checkt. Also klar, man kann auch hetero sein und jemanden crushen und die Person ist mit jemand anderem zusammen, wo man sich denkt: Was willst du mit der? Aber es ist noch mal eine andere Nuance als Frau auf jemanden zu stehen und die Person ist mit einem Dude zusammen. Ich glaube, das verstehen viele Queers.

Gibt es auch was Reizvolles an einer Beziehung zu einer Frau, die nicht offen queer oder lesbisch ist?
Als ich jünger war, so 19, 20 Jahre alt, aber jetzt gar nicht mehr. Ich glaube, das hat auch etwas mit Selbstwert zu tun, weil wir uns selbst erstmal lernen mussten zu akzeptieren, vor allem in unserer Generation. Ich habe das Gefühl, dass die Kids sich heutzutage schon viel früher outen können. Ich habe viel Zeit in hetero Frauen gesteckt. Das würde ich heute niemals machen. Es war ein Ego-Ding, von wegen „I’m gonna make you queer“.  

© Stefanie Kulisch

Aber du lebst schon irgendwie diese Fantasie in dem Song aus, oder?
Ja, aber der springende Punkt ist, dass ich das selbstbewusst mache. Ich sage nicht „Bitte, werde queer“, sondern „Girl, tu dir selbst einen Gefallen“.  Sowas hätte ich vor zehn Jahren nicht so schreiben können, aber ich glaube, weil ich jetzt das Selbstbewusstsein habe, kann ich das so schreiben.

In deinen Songs geht es auch um sogenannte toxische Beziehungen, obwohl man eigentlich woke ist. Auf „Do Ya“ rappst du: „Lebe in Berlin, aber keinen Bock auf poly/ bin queer und woke, aber trotzdem Kurdin. Der Kanake in mir nervt mich manchmal selbst“. Lebst du selbst mit diesen Ambivalenzen?
In meiner Bubble sind alle schon sehr emotional intelligent. Es gibt Theorie, die kann man sich aneignen und daraus lernen. Aber es gibt auch eine Realität. Ich hatte auch schon polyamoröse und offene Beziehungen. Ich habe seit langem zum ersten Mal eine monogame Beziehung. Ich bin mit türkischen Filmen und Serien aufgewachsen, die superdramatisch sind. Das Bild von Liebe, mit dem ich aufgewachsen bin, ist: Wenn es nicht wehtut, ist es keine Liebe. Liebe muss dramatisch sein, sie muss unerreichbar sein. Und egal, wie viele Bücher ich darüber lese, wie toxisch das ist und wie eine gute Beziehung aussehen würde, das ist in mir drin. Natürlich ist es gut, viele Sachen, die einem selbst nicht guttun und der Beziehung nicht guttun, zu verlernen, aber ich finde, wir müssen auch ehrlich über die Schattenseiten sein, die wir in uns drin haben, weil wir alle irgendwo toxisch sind.  Ich wollte dieser Ambivalenz ihren Platz geben und natürlich ist es auch überspitzt. Wir sollten nicht so zu tun, als wären wir nie eifersüchtig, als wären wir mit allem immer okay.

In dem Song „Free.“ versuchst du, verschiedene politische Kämpfe zu vereinen. Wie nimmst du die Spaltung in deiner Community nach dem 7. Oktober wahr?
Zusätzlich zu den Geschehnissen am 7. Oktober, passieren gerade so viele Dinge parallel und beeinflussen uns, so wie die Gefahr, die von der AfD ausgeht und die zunehmende Polizeigewalt. Ich finde, es ist schwierig geworden, überhaupt Gespräche zu führen. Ich glaube, viele Menschen fühlen sich in ihrem Schmerz nicht gehört, nicht gesehen.

Hast du auch selbst die Erfahrung gemacht, dass Freundschaften in die Brüche gegangen sind?
Nee, habe ich nicht, aber ich habe gemerkt, dass es etwas ausmacht, eine Minderheit in einer Minderheit zu sein und dass ich Gespräche anders führe mit Leuten, die selbst Minderheiten in einer Minderheit sind, weil man gezwungen ist, nuancierter zu denken. Und Konflikte auch differenzierter zu betrachten. Ich komme aus der Türkei, bin aber Kurdin und Alevitin. Wenn ich zum Beispiel mit Jüd*innen oder Armenier*innen rede, die auch aus der Türkei kommen, dann macht das einen Unterschied. Weil sie wissen, wie es ist, auf der Welt keinen sicheren Ort zu haben.

Auf dem Song sagst du „Ich lese die Zeitung nicht mehr“ und wirfst der Medienlandschaft vor, zu spalten. Das könnte man als Verallgemeinerung verstehen, die ja nicht unproblematisch ist. Worauf bezieht sich deine Kritik genau?
Also am Ende des Tages schreibe ich ja einen Songtext und versuche Sachen runterzubrechen, deswegen sind sie auch verallgemeinernd. Aber worauf ich mich beziehe sind hetzerische Schlagzeilen. Zum Beispiel wie über Polizeigewalt auf pro-palästinensischen Demos berichtet wird, dass die Demonstrant*innen als aggressiv dargestellt werden und damit das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt wird. Das durchzieht alle Zeitungen, und es wird kein einziges Mal erwähnt, was für eine krasse Gewalt von der Polizei ausgeht, es wird nicht erwähnt, dass da auch jüdische Menschen angegriffen werden. Alle geben das Gleiche wieder und es findet keine differenzierte Berichterstattung statt.

© Stefanie Kulisch

Das Album „FC Chaya“ ist Ebows fünftes Studioalbum und wurde am 27.09.2024 veröffentlicht.