Fatima Çalışkan sitzt allein an einem Tisch. Hornbrille auf der Nase, das Hemd bis zum letzten Knopf zugeknöpft, die Haare streng zurückgekämmt. In der Hand eine Zigarette, während sie breitbeinig dasitzt, gönnerhaft lacht und – labert. 

© Marcus Glahn

Fatima Çalışkan spiegelt in ihrer Performance „Faserland-Boys und Ich – Labern über Männerliteratur“ das Bild des labernden Mannes. Sie sitzt im Scheinwerferlicht und bietet dem inneren Zweifel, mit dem viele weiblich sozialisierte Menschen nur zu vertraut sind, die Stirn. Dem Zweifel, nicht gut genug zu sein. Dem Zweifel, kein Gehör zu verdienen. Gleichzeitig stolzieren meist weiße, cis-hetero Männer ohne jede Spur von Zweifel durch die Welt. Ihre Selbstsicherheit, oft mit dem englischen Begriff der „Audacity“ beschrieben, erregt auf TikTok und Instagram eine Mischung aus Bewunderung und Spott. Kollektiv wird über die kurzen Videos gelacht, in denen User*innen unter Tisch und Schrank nachsehen, woher eben jene Männer ihre „Audacity“ haben. Sie besetzen Räume in Podcasts, Talkshows und Büchern. Sie füllen Timelines und Charts – und labern. Von Selbstzweifel? Keine Spur.

Inspiriert von Christian Krachts Debütroman „Faserland“, einem prägenden Werk der sogenannten „Junge-Männer-Literatur“ der 90er Jahre, untersucht Çalışkan die moderne Ausprägung des „gebildeten Mannes“. Fatima Çalışkan ist Künstlerin, die in ihrer transdisziplinären Arbeit das politische Verhältnis von Biografie und Zugehörigkeit verhandelt. Dabei entwirft sie Klangkompositionen oder choreografische Arbeiten, oder wie in „Faserlandboys und ich – Laber über Männerliteratur“ eine monologische Performance für die Bühne. Krachts Selbstinszenierung spielt hierbei eine zentrale Rolle, denn er nahm eine starke, bewusste und sorgfältige Inszenierung eines Charakters vor. Kracht erschuf im Rahmen seiner medialen Selbstinszenierung die Kunstfigur des hochgebildeten Autors, dessen medialer Auftritt zahlreiche Männer dazu veranlasste, ihn zu imitieren. Diese Männer, oft gebildet, sorglos und belesen, bevölkern heute unsere Popkultur.  Sie „manspreaden“, „mansplainen“ und „manterrupten“, Verhaltensweisen, die mittlerweile in den Sprachgebrauch übergegangen sind, um die Dynamiken dieser Männer im Umgang mit anderen zu beschreiben. Çalışkan homogenisiert diese Idee von Männlichkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe, die „Faserland-Boys“. Diese stehen als Sinnbild für gesellschaftliche Machtstrukturen und Hierarchien, die Çalışkan in ihrer Arbeit aufgreift, dabei geht es weniger um Anklagen, als um das Sichtbarmachen dieser Dynamiken.

Doch Çalışkans Monolog ist mehr als nur eine bloße Beobachtung. Es ist eine satirische Replik auf diese Dynamiken. Sie imitiert und hinterfragt das überhebliche Selbstbewusstsein dieser Männer, die sich ungeniert den Raum nehmen. Sie verhandelt einen ganzen Strang kultureller Phänomene und Klischees – von Literatur bis Social Media – und dreht den Spieß um. Statt männlicher Pose, inszeniert Çalışkan ihre weibliche, migrantische Person als Kunstfigur, und rückt sich und ihre Perspektive in den Mittelpunkt der Erzählung. 

Im Rückblick auf die Nullerjahre stellt Çalışkan fest: „Wer kann es sich eigentlich leisten, oberflächlich und unnahbar zu sein?“ Mit dieser Frage dringt sie tief in das Wesen der männlichen Selbstinszenierung ein. Anstatt sich zurückzulehnen und die Bühne weiter den – wie sie diese Männer nennt – „Faserland-Boys“ zu überlassen, wendet sie sich mit Hilfe ihrer eigenen Biografie gegen dieses kulturelle Phänomen und entwickelt eine feministische Gegenstimme. 

© Marcus Glahn

Çalışkans Monolog wird immer wieder durch Parodien akademischer Unterhaltungsformate unterbrochen, wie „Das Literarische Quartett“ und fiktionalen Podcasts, die sich an den vielen Formaten mit männlicher Doppelmoderation orientieren. Doch um die Performance zu verstehen, muss man Krachts Werk oder die davon inspirierte Literatur nicht im Detail kennen. Es reicht, mit der Popkultur der Generation Y, auf die sie immer wieder anspielt, vertraut zu sein. Sie spannt eine Brücke zwischen den Nullerjahren und der Gegenwart, um zu fragen: Was hat sich eigentlich verändert? Ihre Antwort ist ernüchternd: Wenig. Die Regeln der „Faserland-Boys“ sind immer noch präsent, auch wenn sie allen anderen vorgaukeln, sie könnten irgendwann mitreden, wenn ihre Bücherregale groß genug sind.

Mit ihrer Performance enttarnt Çalışkan diese männliche Pose und hinterfragt, was es bedeutet, heute sichtbar zu sein. Jetzt labert sie, und nimmt sich den Raum, der ihr zusteht. „Faserland-Boys und Ich – Labern über Männerliteratur“ prämiert am 26. Oktober im Ballhaus Ost in Berlin, und wird nochmals am 27./29. Und 30. Oktober dort zu sehen sein. Künstlerische Leitung ist Fatima Çalışkan selbst, Dramaturgie und Co-Konzeption macht Felizitas Stilleke, szenische Umsetzung Aurora Kellermann.