Boys, die mehr sind als Männer
Kolumnist*in:
Am Ende einer Schreibresidenz in den USA spreche ich mit meinen Kolleginnen darüber, welchen Eindruck wir eingangs voneinander hatten. Über eine Sache sind sich alle einig: Niemand wusste, dass ich trans bin. Durch die Bank dachten die neun Autorinnen aus Katar und Ägypten, Norwegen und den USA, dass ich ein nerdiger, queerer und vor allem sehr junger, nämlich unter zwanzigjähriger Boy sei.
Ich bin überrascht. Mein Passing ist so frisch wie der Herbst in New England. Sechs Wochen zuvor wurde ich noch als „junge Dame“ misgendert. In den USA bin ich ein „Sir“. Männer nicken mir zu oder machen mir Platz. Parallel zum Statusgewinn weißer Männlichkeit werde ich jedoch noch nicht als
erwachsen wahrgenommen. Bei Planet Fitness echauffiert sich eine ältere Dame, die glaubt, ich hätte ihre Hanteln weggenommen, so lange und laut, bis mir andere Trainierende zu Hilfe kommen. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich 16 Jahre alt bin und dringend Manieren lernen muss.
Nicht wie ein erwachsener Mann zu wirken, ist auch ein Vorteil. Ich bin zum ersten Mal seit meiner Transition Teil einer rein cisweiblichen Gruppe. Die Frauen scherzen unbefangen mit mir und berichten, dass ihre Partner zu Hause mich nicht als Konkurrenten betrachten. Ich werde nicht als Gefahr wahrgenommen. Noch genieße ich Welpenschutz. Darauf reagiere ich mit einem Rückfall in vertraute Muster. Den halben Tag verbringe ich als angsty Teenager, ich rase in Bluejeans im Nineties-Cut mit Fahrrad den Hügel rauf und runter und singe laut zu Placebo mit. Den Rest des Tages performe ich den Heartthrob, der den älteren Frauen Wein nachschenkt und ihnen dabei spitzbübisch und tief, aber nie zu lange in die Augen schaut.
Ma…