© Marilyn Humpries

Lange bevor deutsche Medien queere linke Working-Class-Autofiktion von Autoren wie Didier Eribon und Édouard Louis feierten, wurde in den USA 1993 quasi der Blueprint des Genres erschaffen. Im Roman „Stone Butch Blues“ erzählt Leslie Feinberg, Jahrgang 1949, anhand der Figur Jess Goldberg von einem Leben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das an ihr*sein eigenes angelehnt ist: von jüdischen Eltern aus der Arbeiter*innenklasse, die ihr geschlechtlich

nonkonformes Kind in die Mädchenrolle pressen, von der Suche nach einem besseren Leben in den Lesbenbars von Buffalo, New York, von Solidarität zwischen Butches und Femmes, lesbenfeindlicher Polizeigewalt, eigenem gewerkschaftlichen Engagement in Fabriken, in denen wiederum Queerfeindlichkeit herrscht, von einer Transition, um der patriarchalen Brutalität zu entkommen, und einer Detransition, um sich  in der Lesben-Community wieder mehr zu Hause zu fühlen. Feinberg, die*der sich selbst als „antirassistisch, weiß, säkular, jüdisch, working-class, transgender, butchlesbisch“ definierte, setzte sich u. a. für die Rechte von Palästinenser*innen und gegen die US-Finanzierung israelischer Militärgewalt ein. Bis heute prägt sie*r mehrere Generationen queerer Menschen weltweit. 

Mit Anfang zwanzig habe ich viel Zeit in den Wohnungen unterschiedlicher Menschen in Berlin verbracht. In einem toll bestückten Bücherregal stieß ich in dieser Zeit zum ersten Mal auf „Stone Butch Blues…