Von Antke Antek (Antkek) Engel

Queer ist, was schräg und irritierend bleibt, auch wenn die Normalität eine Umarmungsgeste vollzogen hat. Eine solche Geste ist bspw. das Selbstbestimmungsgesetz, das im November 2024 in Kraft getreten ist. Denn die vier Optionen des Geschlechts­eintrags – kein Eintrag, divers, weiblich, männlich – sollen immer noch als Kategorien verstanden werden, die auf stabile Identitäten verweisen, sich klar voneinander abgrenzen und durch Namen vereindeutigen lassen. Undenkbar ist demnach, dass eine männlich registrierte Person einen als weiblich codierten Namen trägt; und wer sich herausnimmt, als divers zu gelten, soll dies gefälligst durch einen „geschlechtsneutralen“ Namen nachvollziehbar halten. Ordnung muss sein. 

Queere Kritik hingegen versteht Identitäten als veränderlich, vieldimensional und durch unsere sozialen Beziehungen beeinflusst. Queere Theorie fragt danach, wie gesellschaftliche Verhältnisse z. B. Geschlechtskategorien hervorbringen, die als natürlich erscheinen, und arbeitet daran, solche Mythen zu entzaubern. Die Idee klar umgrenzter, stabiler Identitäten dient darin dem Ausschluss dessen, was nicht in bestimmte Schubladen passt. Queerer Theorie zufolge müssen für gesellschaftliche Akzeptanz bestimmte Erwartungen erfüllt werden, z. B. starre Geschlechterrollen. Aus dieser Sicht kann „queer“ nicht einfach als Oberbegriff für LGBTIA dienen, sondern weist auf das hin, was in Identitätskategorien nicht aufgeht. Dies schließt nicht aus, „queer“ als Selbstbezeichnung zu verwenden. Doch es darf eine*n auch ermutigen, sich der Kategorisierung zu widersetzen, Uneindeutiges, Fluides, Widersprüchliches im Selbst zu finden und in die Welt zu tragen.

Eine stolze Verwendung des vormaligen Schimpfworts „queer“ ist im Rahmen politischer Bewegungen der 1980er- und frühen 1990er-Jahre – vor dem Hintergrund homofeindlicher Staatspolitiken und Mediendiskurse in Zeiten der Aidskrise – entstanden. Queere Bewegungspolitik und Queer Theory, die sich parallel als akademische Strömung um 1990 entwickelte, waren stets eng miteinander verzahnt. Beide stellten sich dem Zeitgeist kämpferisch entgegen nach dem Motto: We are here, we are queer – get used to it! Statt Anerkennung als Minderheit anzustreben, wurde die Perspektive umgekehrt: Das, was sich als „das Normale“ der Dominanzgesellschaft präsentiert, ist das Problem. 

Mit dieser Haltung verwendete ­Gloria Anzaldúa den Begriff „queer“ schon in den 1980er-Jahren im Unikontext; Teresa de Lauretis griff ihn Anfang der 1990er für eine wissenschaftliche Tagung auf. In diesen Zusammenhängen ist auch der Begriff der Heteronormativität entstanden, der Zustände bezeichnet, in denen Heterosexualität als Norm oder Ideal verstanden wird. Später wurde z. B. durch Cathy Cohen, Fatima El-Tayeb, Robert McRuer oder Elahe Haschemi Yekani unterstrichen, dass in diese Zustände auch rassistische, antisemitische, klassistische und ableistische Vorstelllungen und das Erbe der Kolonialgeschichte eingewoben sind. 

Queer bezieht sich also nicht nur auf Geschlecht und Sexualität, sondern ist eine herrschaftskritische Form, Unterschiedlichkeit zu denken und zu leben. Queer bezeichnet außerdem Formen politischer Praxis – dies zumeist mit dem Begriff des „queering“ oder auf Deutsch „queerulieren“. Die Verlaufsform queering steht für Praxen, die kontinuierlich in Bewegung versetzen, was sich zuvor als Norm oder Normalität verdichtet hat. Das Substantiv (die Queers, die Queerness) behält diese Beweglichkeit in sich – als Lust an Vieldeutigkeit und Veränderung.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/24.