Musiktipps 06/24
Von
GloRilla
„GLORIOUS“
( Collective Music Group / Interscope Records )
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Ab der ersten Minute des Songs „Intro“ von GloRillas Debütalbum „GLORIOUS“ erfahren wir alles über sie: Was sie erlebt hat, wo sie angekommen und wozu sie bestimmt ist – die 25-jährige Rapperin aus Tennessee nimmt kein Blatt vor den Mund. GloRilla erreichte mit DIY-Releases ihren Durchbruch auf TikTok. Nach verschiedenen Features und einer EP beim Label Collective Music Group kollaborierte sie Anfang 2024 mit Megan Thee Stallion. Eine weitere Zusammenarbeit findet sich nun auf diesem Debüt wieder: „How I Look“ lässt ebenfalls keinen Zweifel an GloRillas Herkunft und ihrem Weg nach oben. Zu den vielen anderen Gäst*innen gehört auch Latto, mit der „Procedure“ zu einem empowernden Duett zweier Rapperinnen der jungen Generation wird. Nicht nur im Albumoopener weiß GloRilla, wie glücklich sie sich schätzen kann, nun so eine Platte machen zu können; und dass cis Männer im Rap die längste Zeit das Sagen hatten. Zuletzt endet sie aber auf einer nostalgischen Note: „Queen Of Memphis“ bezieht sich erneut auf ihren Lebensweg. Die Gesangsparts von Fridayy auf R’n’B-Klangteppich treffen auf GloRillas persönliche Zeilen über Erfolg, der sie nicht verändert hat, und Dankbarkeit, die sie spürt. Aber in erster Linie hat sie sich den wohlverdienten Triumph selbst zu verdanken. Simone Bauer
The Linda Lindas
„No Obligation“
( Epitaph Records )
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Wer noch nichts von The Linda Lindas mitbekommen hat, muss die vergangenen drei Jahre musikalisch unter einem Stein verbracht haben. Die vier Teenager Bela Salazar, Eloise Wong, Lucia und Mila de la Garza aus Los Angeles sind seit ihrer 2021 erschienenen Single „Racist, Sexist Boy“ auf dem direkten Weg, die Riot Grrrls der Gegenwart zu werden. Ihr erstes Album „Growing Up“ wurde 2022 hoch gelobt und überraschte die Musikwelt. Nun steht ihr zweites Album in den Startlöchern, das mit dem treibenden und titelgebenden Track „No Obligation“ direkt in die Vollen geht und die inhaltliche Ausrichtung der folgenden elf Titel vorbereitet. Denn The Linda Lindas wollen keinen Erwartungen entsprechen. Entgegen der oft verniedlichenden Kategorisierung Pop-Punk hauen sie auf einigen Songs mächtig in die Saiten. Sie singen und schreien gegen die Einsamkeit an, gegen das Sich-Verlieren („You Don’t Wanna Lose Yourself“), die Überforderung und den Stress („Too Many Things“, „Yo Me Estreso“), sie beschwören Revolutionen herbei, stellen sich gegen Bedrängung und Unterdrückung („Excuse Me“, „Stop“), sie schwelgen in Melancholie und warnen vor dem Erwachsenwerden („Something Bout The Way“). Dabei experimentieren sie selbstbewusst mit Genres, verweigern sich einer Einordnung
und sind dadurch zu Recht die neue Hoffnung am musikalischen Firmament. Avan Amir Weis
Halsey
„The Great Impersonator“
( Columbia )
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Halsey macht die Rolle rückwärts: Während der Vorgänger „If I Can’t Have Love, I Want Power“ mit pulsierendem Dark Wave Bühne für radikales Empowerment gebärender Personen lieferte, ist „The Great Impersonator“ ein in sich gekehrtes, höchst persönliches Werk mit bitterem Kern. Die einzige Schnittstelle ist das Format, nämlich Konzeptalbum – die 18 Songs erforschen, wie sich Privatperson und Künstler*in Halsey über verschiedene Jahrzehnte entfaltet hätte. Zwar gibt es Referenzen an den College-Rock der 2000er („Ego“) und eleganten Pop à la Alice Merton („Panic Attack“) – größtenteils dominiert jedoch ruhiger 1990er-Alternative, den auch Alanis Morissette hätte schreiben können. Musikalisch mag das mit Klavier, Gitarren und leichten Beats nicht immer aufregend sein, inhaltlich jedoch umso ergreifender. Zeilen wie „Please God, I don’t wanna be somebody that you try to get rid off“ treffen besonders, wenn man um die Erkrankung von Halsey an Lupus und den seltenen T-Zell-Lymphomen weiß. Der Kampf mit diesen Erkrankungen bekommt ebenso eine Bühne wie die Debatte über die eigene Identität („Lonely Is The Muse“) oder das Leben im Rampenlicht in Form einer wunderschönen Neuinszenierung von Britney Spears’ „Lucky“. Ein beeindruckendes Stück Musik, das in seiner unaufgeregten und bedrückenden Ehrlichkeit noch weiter vom einstigen Pop-Appeal Halseys abrückt. Julia Köhler
Krákow Loves Adana
„I Saw You I Saw Myself“
( Eigenvertrieb )
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Enigmatisch, düster und atmosphärisch: „I Saw You I Saw Myself“ ist das mittlerweile achte Studioalbum der zweiköpfigen Gruppe Krákow Loves Adana, einst geboren durch das Aufeinandertreffen von Deniz Çiçek und Robert Heitmann in einem Hamburger Nachtclub und benannt nach den Heimatstädten ihrer Mütter. Von geisterhaften Spieluhren-Synths und brachialen Drumcomputer-Sounds auf „The Fire Is Gone“ über den schwermütigen und tief hallenden Dark Wave von „Like A Dagger“ bis zum erheiternden Synth-Pop des Tracks „Break My Own Heart“ – Krákow Loves Adanas Sound visualisiert sich wie ein 1980er-Roadmovie über flackernd beleuchtete Highways oder die nebulös-verträumten Bilder eines David-Lynch-Streifens. Währenddessen verlieren die Produktionen der Gruppe nichts von ihrem Schlafzimmercharakter: Alle Alben sind eigens produziert, werden begleitet von Çiçeks Vorliebe für Rosensträuße, schwere Samtvorhänge, Schachmusterböden und Polaroidfotografien – und erinnern heimelig an die Tumblr-Ära. „Looks so iconic / Smile so ironic / Answers laconic / Sadness so chronic / Still I’m on it / Give it a minute“: Çiçek bedient den Archetyp des ästhetischen Sad Girls und findet gleichzeitig das Überwinden der Melancholie darin. Eine Platte für den eigenen Main-Character-Moment in einem Film. Und für die düsteren Regentage, die auf die Spooky Season folgen. Sophie Boche
Sleater-Kinney
„Little Rope“
( Loma Vista )
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Wut, Krach, Gitarre – Sleater-Kinney besinnen sich auf ihrem neuen Album „Little Rope“ wieder auf die musikalischen Motoren, die die Band antrieben. In den dreißig Jahren ihres Bestehens hat sie viel erlebt: Sie löste sich auf, kam zurück, stellte sich personell neu auf. Der tiefste Einschnitt war 2019 die Trennung von der langjährigen Drummerin Janet Weiss. Danach sah es so aus, als würden die Sleater-Kinney-Gründerinnen Carrie Brownstein und Corin Tucker Schritt für Schritt in Richtung Pop gehen. Man hörte Keyboards und elektronische Sounds, etwas, das eigentlich nicht im Handbuch für das typische Sleater-Kinney-Werk vorkommt. Nun sind sie wieder beim krachigen Rock gelandet. Gleich der Opener heißt „Hell“, denn auf „Little Rope“ verarbeitet Carrie Brownstein den plötzlichen Unfalltod ihrer Mutter und ihres Stiefvaters. Verlust und Depression sind wichtige Motive. „Little Rope“ ist trotzdem nicht düster, sondern vor allem wütend. Denn es geht auch um Themen wie das mediale und soziale Unsichtbarwerden von Frauen über vierzig. Beim Song „Say It Like You Mean It“ schreien Brownstein und Tucker diese Wut so heraus wie zu Zeiten von „Modern Girl“. Jetzt noch zum Stichwort Gitarre: „Little Rope“ lebt von der Kraft des Gitarrensounds, nein, Virtuosität trifft es eher. Brownstein und Tucker zeigen, wie verdammt gut sie an ihren Instrumenten sind, und es macht Spaß, ihnen dabei zuzuhören. Michaela Drenovakovic
Katy J Pearson
„Someday, Now“
( Heavenly Recordings )
Die Sängerin und Gitarristin Katy J Pearson aus Bristol zeigt auf ihrem dritten Soloalbum, dass sie sich eingependelt hat. Das Label nennt es „das bislang ehrlichste Album“: Selbstbewusst wandelt sie ihren Ausdruck zwischen den zehn poetischen, manchmal ironischen Songs über den Schmerz des Daseins in dieser verkorksten Welt zu leichteren und verspielten Stücken, wechselt zwischen Folk und Synthesizer-Pop mit einem klassischen Roxy-Music-Touch, dabei immer mit einer sehr modernen eigenen Attitüde. Einen Teil ihrer neuen Lässigkeit verdankt sie wohl dem Rat ihres Produzenten Nathan Jenkins alias Bullion, der sie ermunterte, ihre natürliche Stimmlage zu nutzen statt der höheren Kopfstimme. Dadurch gibt es Parallelen zu Stevie Nicks, Kate Bush oder Blondie. Neben dem elektronischen Schneid setzt ihre sehr sorgfältig ausgewählte Session-Band auch Orgeln, Saxofon, Geigen und Piano ein sowie mehrstimmigen Background-Gesang. Besonders schön kommen diese Stilmittel auf „Save Me“ zur Geltung, das sie in einer knackigen Synthie-Fassung noch einmal als längeren Bonustrack verwendet. Dass Katy J Pearson weiß, was sie will und welche Mittel sie dazu einsetzen muss, lässt sich auf „Someday, Now“ hören. Imke Staats
C’est Karma
„How To Peel An Orange“
( EKIP )
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In deutschen Supermärkten ist Orangenkaufen ein Gamble. Du weißt nie, was du kriegst: süß, sauer, saftig, vertrocknet? C’est Karmas Debütalbum „How To Peel An Orange“ ist ein gezielter Griff zur saftigsten Frucht. Die Luxemburger Sängerin Karma Catena lädt ein auf eine musikalische Zeitreise in die Sommer ihrer Kindheit. Diese verbrachte sie bei den Großeltern in Portugal, wo sie auch das richtige Orangenschälen gelernt hat. Inspiriert von der Sehnsucht nach ihren portugiesischen Wurzeln hat Karma Catena das Album innerhalb von drei Wochen in Lissabon aufgenommen. Anders als vorherige EPs wie „Amuse-Bouche“ (2022) ist es weniger experimentell. Allein „Emotrax“ erinnert mit seinen peitschenden Bässen und düster gehauchten Vocals an die Avantgardephase von C’est Karma. Für „Maria João“, ihren ersten Song auf Portugiesisch, kollaboriert Karma Catena mit dem queeren Fado-Duo Fado Bicha. Gemeinsam verleihen sie dem traditionellen Genre einen kontemporären Twist. Über den elektropoppigen Beat von „Handlebar“ singt Catena selbstironisch davon, ein Superstar zu werden. Im Gegensatz dazu ist „Quand je serais grande“ eine softe Pianoballade über Kindheitserinnerungen und das Erwachsenwerden. Maximalistischer Hyperpop trifft französischen Chanson, portugiesischer Fado kontemporäre Tanzmusik – et voilà, das ist Karma. Ilo Toerkell
Porridge Radio
„Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“
( Secretly Canadian )
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Niemand bringt Verzweiflung, Wut, Sehnsucht und die Intensität des Lebens so zusammen wie Sängerin Dana Margolin. In ihren Texten und ihrer Musik eröffnet sich immer wieder eine Unvermittelbarkeit, die erstaunt und bewegt. Das nunmehr vierte Album ihrer Band Porridge Radio „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ überzeugt mit intimen Songs, die Einblicke in ihr Seelenleben geben. Sie erzählen vom Erwachsenwerden als Musikerin, vom Herausarbeiten aus einem Burn-out und beschreiben die Verarbeitung einer gescheiterten Liebesbeziehung. Ganz bewusst entschied sich Margolin, Gedichte zum Ausgangspunkt der Songs zu nehmen, wie sie in der Pressemitteilung zum Album verrät. So sei es unmöglich, sich hinter pompösen Songstrukturen zu verstecken. Und doch klingt das Album wie ein typisches Porridge-Radio-Album: die schroffe DIY-Soundästhetik mit den aufbrausenden Gitarren, die im nächsten Moment wie ein tosendes Meer abebben, um dann unvermittelt zu enden. Damit verbunden die Stimme Margolins, die sich dagegen schiebt, in Einklang geht und mit den repetitiven Lyrics das Bild von Wellen im Meer unterstreicht. So entsteht der Eindruck einer Verbundenheit, ohne dass die Zerrissenheit der letzten Alben aufgelöst wird. Gerne lässt man sich in den Sog dieser fabulösen Songs hineinziehen und von ihnen herumwirbeln. Lina Niebling
Leila
„Generation“
( Grönland Records )
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Zum Glück hat Leila ihre eigene Auffassung davon, was es heißt, Teil ihrer Generation zu sein. Fern von Klischees und Pauschalisierungen bastelt sie sich ihr eigenes siebenteiliges Geständnis darüber, wie es sich anfühlt, jung und erwachsen zugleich zu sein. Auf der EP „Generation“ ist die Sängerin expliziter und verspielter als zuvor, bleibt dabei aber ähnlich düster. Gleich zu Beginn gibt die 23-Jährige zu verstehen – begleitet von einer dominanten Bassline –, dass sie nicht bescheiden ist, mehr Anerkennung und Ruhm will, einen Grammy, noch bevor Katy Perry ihn hat, oder Grills aus Diamanten besitzen möchte. Die seichte Stimmung verändert sich schnell, wird kühler, beklemmender. Zwischenzeitlich fühlt es sich an, wie als würde man tief einatmen, ein Atemzug, der in der Lunge so viel Platz einnimmt und so dehnt, dass es wehtut. Die Tragkraft von Leilas ungefilterten Worten beschreibt mit dem unaufgeregten Klavier, vereinzelt auftauchenden Streichern und aufdringlichem Bass emotionale Abgründe sehr treffend. Richtig ernst wird es, als sie über sexualisierte Gewalt singt und dabei deutliche Worte findet. Schnelle elektronische Beats lösen schließlich die Balladen ab, lassen Abschied und Realitätsflucht fast sorglos klingen. Was erstaunlich gut auf „Generation“ funktioniert, neben den komplexen Gefühlsbeschreibungen, ist Leilas freche Bekenntnis zu queerem Sex, darüber, dass sie lieber mit Frauen schläft als mit einem „pretty mama’s boy“. Sofia Paule
cumgirl8
„The 8th Cumming“
( 4AD/Beggars Group )
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Mit „The 8th Cumming“ beweisen cumgirl8, dass die Band nicht bloß eine Truppe sexbesessener Internet-Trolle in schrillen Kostümen ist. Nach einer Reihe EPs und Support-Tourneen mit Riot-Grrrl-Legenden wie Bratmobile und L7 hauen Veronika Vilim (Gitarre), Chase Lombardo (Drums), Lida Fox (Bass) und Avishag Rodrigues (Gitarre) ein Debütalbum raus, das keine Wünsche offen lässt: Mit größter Offenheit singen cumgirl8 über Blasenentzündungen durch zu viel Sex („Uti“), machen sich über antifeministische Vorurteile lustig („Hysteria“, „Simulation“) und legen gleich zu Beginn mit „Karma Police“ listig eine falsche Fährte aus, denn es handelt sich bei ihrem Song mitnichten um eine Radiohead-Coverversion. Oberthema des Albums ist Donna Haraways Konzept des Cyberfeminismus, rübergebracht mit aktivistischem Punk-Ethos und in instataugliche Häppchen zerteilt. Explizite Texte sind das eine, musikalische Vielfalt das andere Pfund, mit dem cumgirl8 punkten können: Von newyorkischem Post-Punk über dystopisch-elektronische Klänge bis zu Dancefloor-Bangern haben cumgirl8 einiges zu bieten. Tiefe, wummernde Bässe und schrille Synthies sind hauptverantwortlich für ihren Sound, als Vergleichsgrößen seien Delta 5, Peaches, Suicide und Ladytron in den Ring geworfen – aber cumgirl8s Mixtur ist einzigartig. Christina Mohr
Suki Waterhouse
„Memoir Of A Sparklemuffin“
( Sub Pop Records )
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Mit verzerrten E-Gitarren bricht Suki Waterhouse in dieses Album hinein und inszeniert sich als glitzernde Heldin. Auf „Memoir Of A Sparklemuffin“ hat sie nicht nur ihre Liebe zu verhallten 1960er-Gitarren verewigt, sondern auch ihr Spirit Animal, die sogenannte Sparklemuffin-Spinne, gefunden. Die bunte, auffällige Spinne ist quasi gefangen in einem stetigen Paarungstanz, und die Musikerin scheint sich mit diesem Performancedrang identifizieren zu können. Denn Waterhouse ist eine absolute Tausendsassarin, die man auch als Schauspielerin (z. B. aus der Serie „Daisy Jones & The Six“, wo sie die Keyboarderin porträtiert) und Model kennengelernt hat. Das Album beschäftigt sich eingehend mit den verschiedenen Rollen („Model, Actress, Whatever“), mit Sukis Erfolgsreise und kommt bei dieser Selbstreflexion fast heldenhaft heraus. Ihre weiche Stimme steht im Kontrast zu den Gitarren, die nach dem rockigen Opener einen ruhigeren Ton anschlagen. Immer wieder wechselt sie zwischen Akustik- und E-Gitarre, und Waterhouse manövriert sich hier durch zahlreiche Einflüsse und Jahrzehnte. So klingen einzelne Songs („My Fun“) äußerst Beatles-inspiriert, während andere („Non-Chalant“) auch den Y2K-Balladen à la Natalie Imbruglia entsprungen sein könnten. Dadurch ist zwar für alle etwas dabei und das Album enthält viele Highlights – ein richtiger Fluss kommt allerdings nicht auf. Rosalie Ernst
eat-girls
„Area Silenzio“
( Bureau B )
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Selten tauchen Gruppen mit einer so diversen, aber künstlerisch klaren Linie auf wie das französische Trio eat-girls. Nachdem die hypnotisierende Post-Punk-Single „Canine“ bereits seit Februar die Wege der Geheimtipps rauf und runter schleicht, erscheint nun das Debütalbum – weniger als Veröffentlichung auf dem Markt und mehr als elektrischer Spuk am Fuße des Bettes. Das Album ist das Ergebnis vierjähriger Arbeit, was in den feinen, fast zerbrechlichen Dissonanzen und komplexen Harmonien spürbar ist. Hinter der zarten Präzision der Stücke vibriert zugleich unbestreitbar eine immense Kraft, wie ein unter einem seidenen Schleier glühender Motor. Ob in den minimalistischen Synth-Erkundungen von Liedern wie „Earthcore“ oder den vielstimmigen Rufen von „Para los pies cansados“ sind die Stücke heimsuchend, geisterhaft und lockend. Angenehm ist, dass eat-girls sich an keiner Stelle an die in gewisser Weise konservativen Höreigenschaften anderer junger Projekte im gleichen Genrefeld anbiedert. Trotz klassischer Drum Machines, melodischem Bass und hallender Gitarre wirken eat-girls nicht daran interessiert, Post-Punk- oder Wave-Klangbilder der Vergangenheit zu reproduzieren. Hier wird etwas Neues, subtil Grandioses beschworen. Linus Misera
Soap&Skin
„Torso“
( PIAS )
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Nun hat es Anja Plaschg aka Soap&Skin also auch getan und ein Album mit Coverversionen aufgenommen, mit Songs von u. a. Tom Waits, Lana Del Rey, Nina Simone und Cat Power. Letztere hatte 2000 mit „The Cover Records“ neue Maßstäbe für Cover gesetzt und Klassiker der Rockmusik so entschleunigt und verändert, dass sie wie Eigenkompositionen klingen. Plaschg geht etwas anders vor, aber mit gleichem Effekt. Sie hat Lieder ausgewählt, die eh schon hohe Töne anschlagen, und diese mit einer Portion Pathos gesteigert. „Born To Lose“ von Shirley Bassey wird davon beinahe erdrückt, während ihr mit „What’s Up“ von den 4 Non Blondes eine tolle Interpretation des Songs gelingt. Das Stück fällt akustisch aus dem Rahmen, weil es nicht wie die anderen Stücke von dem mit großer Dramatik inszenierten Klavierspiel Anja Plaschgs getragen wird. Während Cat Power die Lieder, die sie coverte, erst einmal bis auf die Knochen entkleidet hat, wickelt sich Soap&Skin darin ein wie in abgelegte Klamotten, die von ihr neu unterfüttert werden. Sie erfindet die Songs nicht neu, sondern richtet sich in ihnen ein. Das gelingt ihr so gut, dass die Originale beim Wiederhören klingen, als hätten David Bowie oder Velvet Underground Soap&Skin gecovert und nicht umgekehrt. Insgesamt ist „Torso“ also ein ganz typisches Soap&Skin-Album. Lene Zade
Helena Hauff
„Multiply Your Absurdities”
(Tresor Records)
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Helena Hauffs Debüt-EP für Tresor Records umfasst zwar nur drei Tracks, aber die haben es in sich: Die Hamburger DJ verknüpft kraftvollen, dreckigen Oldschool-Techno mit hypnotisierenden Synthieparts und Acid-Elementen. Die Bassdrum wummert isoliert oder im Zusammenspiel mit blubbernden und fiependen Sounds, es scheint in diesen Tracks nur vorwärts, vorwärts, vorwärts zu gehen: „Punks In The Gym“ ist nach einer Kletterroute in Australien benannt, die als die härteste der Welt gilt. Dementsprechend gewaltig und herausfordernd baut sich das Stück auf, steigert sich immer weiter bis zur Erschöpfung. Der letzte Track „Humanoid Fruit“ ist Teil des Soundtracks für ein Videogame der Filmemacherin Bahar Noorizadeh. Mit dem Game kritisiert Noorizadeh Elon Musks post-postfordistischen Extrem-Leistungsethos, den sie „Teslaism“ nennt. Hauffs dystopische Sounds passen perfekt zum Spiel sowie in unsere hyperkapitalisierte Realität. Die Musik ist einerseits strikt funktional, andererseits zutiefst irritierend und ganz buchstäblich moving. Die einstige Resident DJ des Pudel Clubs ist längst international etabliert – „Multiply Your Absurdities“ präsentiert in 23 eindrucksvollen Minuten, warum das so ist. Christina Mohr
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 06/24.