Das Orakel spricht
Liv Strömquist seziert mit soziologischem Blick und pointiertem Humor die Geißel des Neoliberalismus: Selbstoptimierung. In kurzen Szenen zeichnet sie Beispiele von obsessiver Körperkontrolle, strengem Fasten, fragwürdigen Diäten, fanatischen Sportroutinen und absurden Schönheitsritualen. Sie erzählt verdichtet und zum Teil sprunghaft – genau wie die Social Media Posts und Videos, die diese Inhalte verbreiten. Wie immer überspitzt sie Fakten und fasst ihre Recherche lakonisch in dicht gefüllten Sprechblasen zusammen. Ihr aufklärerisches Ziel: Kritik an der Kapitalisierung von Pseudo-Wissenschaften und der boomenden Coaching-Industrie. „Das Orakel spricht“ erforscht die Sehnsucht nach Beratung ebenso wie den Impuls Hunderttausender vermeintlicher Expert*innen, Ratschläge in die Welt zu posaunen. Strömquist schlägt den Bogen vom titelgebenden Orakel von Delphi bis in die Gegenwart und hilft uns, mit Lacan TikTok zu verstehen. Ihr Comic-Band fühlt sich an wie begleitetes Doomscrolling, aus dem wir nicht deprimiert, sondern erheitert und geläutert entlassen werden. Amelie Persson

Liv Strömquist „Das Orakel spricht“ ( Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. avant-verlag, 248 S., 25 Euro )

Klimaangst und Wandelmut
„Wenn die Zukunft so wird, möchte ich lieber in die Selbstmordzelle“, sagt die zehnjährige Carolin. Daraufhin der gleichaltrige Finn hoffnungsvoll: „Wenn es richtig schlimm wäre, dann würden die Erwachsenen auch was machen.“ Der Ausgangspunkt für Lena Hällmayers Comic über den Klimawandel ist düster: das bleierne Gefühl von Schuld und Verzweiflung der Erwachsenen, die den Kindern von heute ein ökologisches Wasteland hinterlassen werden. In einem Resümee ihres eigenen, dreijährigen Denk- und Handlungsprozesses in Sachen Klimaengagement setzt sich die Hamburger Zeichnerin und Kunstpädagogin mit einem möglichen Weg von der Ohnmacht zum solidarischen Handeln auseinander, mit der Frage von strukturell politischen versus individuell alltagstauglichen Lösungen. Mit bewusst naiven Fragestellungen und fröhlichen Bildern zwischen Comic, Illustration und Schrift, die dem Thema die Schwere nehmen, zeigt Hällmayer mit ihrem rhizomatischen Grassroots-Aktivismus eine mögliche Antwort von vielen auf – und verweist auf ihren Hauptantrieb: Hoffnung als bewusste Strategie. Sonja Eismann

Lena Hällmayer „Klimaangst und Wandelmut“ ( Jaja Verlag, 176 S., 26 Euro )

Diese Texte erschienen zuerst in Missy 06/24.