Eine Illustration eines Koffers, der einen Abschiedsbrief schreibt.
© Charlie Spies

Liebe Missy-Community,

es tut mir leid, dass ich zurzeit so schlecht darin bin, Kontakt zu halten. Vor einem Jahr hab ich euch hier geschrieben, dass Transitioning – diese lebenserschütternde Freude – und Depression – diese erderschütternde Leere – Hand in Hand gehen können. Das Ding ist, ich bin immer noch wahlweise überfordert, nervös oder leer. Manchmal scherze ich darüber, dass ich mich noch nie in meinem Leben so schlecht und so horny gefühlt habe. Leider bin ich immer noch kein Fuckboy, oder vielleicht bloß ein imaginierter. Der Fuckboy der Herzen. 

Ich weiß, dass ich mit meiner Hoffnungslosigkeit nicht alleine bin. Dass ihr euch ähnlich fühlt. Die

vermeintlich persönlichen Gefühle und der Zustand der sogenannten Außenwelt spiegeln einander wider. Sage ich Dinge „aus Mental-Health-Gründen“ ab, antwortet ihr mir mit Verständnis: die Lage dieses Landes, die Lage der Welt, ihr versteht, „no pressure“. Danke <3. Meine nicht-binären Freund*innen wählen binäre Geschlechtsmarker, weil sie Angst haben, und der Kaffee schmeckt nicht. In den USA ist erneut ein Mann Präsident geworden, der 215 Millionen Dollar für transfeindliche Wahlwerbung ausgab, und wir sind pleite. Die politische Linke zerlegt sich weiter und alle, wirklich alle der queeren Paare in meinem Umfeld haben sich getrennt. Ich träume nicht mehr. 

Evan Tepest

Evan Tepest lebt als Autor in Berlin. 2024 erschien sein erster Roman „Schreib den Namen deiner Mutter“, 2023 erschien Essayband „Power Bottom“. Seine Texte sind außerdem in Anthologien und Zeitschriften erschienen, zuletzt in „Delfi. Zeitschriftfür neue Literatur“. Tepest ist Kolumnist für das Missy Magazine und ist im Wintersemester 24/25 Dozent für Essayistik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Genau genommen ist es das zweite Mal, dass ich versuche, euch zu schreiben, und weil aus dem ersten Versuch nichts wurde, bin ich alleine an die Ostsee gefahren. Aber so richtig ändert auch das nichts. 
Ich schließe die Augen, höre dem Wintermeer zu und versuche es händeringend noch einmal mit dem Wünschen und dem Schreiben. …