Kamala Harris hat die Wahl zur US-Präsidentin verloren. Ist die Welt einfach noch nicht bereit für eine Schwarze Frau in einer der weltweit mächtigsten Positionen? Liberale Feminist*innen würden so argumentieren. Der materialistische Feminismus hätte eine andere Antwort parat.

Der Begriff materialistischer Feminismus wurde Ende der 1970er-Jahre u. a. von der französischen Soziologin Christine Delphy und der deutschen Historikerin Annette Kuhn geprägt und beschreibt eine feministische Denkart und Wissenschaftskritik, die zwar auf marxistischer Theorie aufbaut, sich zu ihrer Entstehungszeit aber auch vom Marxismus abgrenzen wollte, da dieser u. a. die Rolle unbezahlter weiblicher Arbeit kleinrede. Heute sammeln sich um diesen Überbegriff Feminist*innen, die sich vom liberalen Feminismus abgrenzend intensiv mit dem Zusammenhang von Kapitalismus und Patriarchat beschäftigen. Das Patriarchat steht in dieser Theorie eigenständig, ist ja auch älter als der Kapitalismus. Zugleich betonen materialistische Feminist*innen, dass die heutige Ausprägung des Patriarchats maßgeblich von der Produktionsweise unserer Gesellschaft mitbestimmt und mit ihr verwoben ist. 

Ein wesentliches Kennzeichen dieser kapitalistischen Produktionsweise ist die Lohnarbeit: Ob ich für meinen Lebensunterhalt arbeiten muss oder Unternehmer*in bin, die Profit damit erwirtschaftet, die Arbeitskraft anderer auszubeuten, beeinflusst nicht nur mein eigenes Leben; es ist auch der Kern des Kapitalismus und der mit ihm einhergehenden Klassenverhältnisse.

Und was hat das jetzt mit Feminismus zu tun? Einmal natürlich, dass die meisten ­FLINTA selbst lohnabhängig sind. Aber es geht um noch mehr. Der Marxismus würde sagen: Damit Kapitalbesitzer*innen die Arbeitskraft anderer möglichst günstig bekommen und zugleich ein ausreichend großes Reservoir an Lohnabhängigen zur Verfügung steht, braucht es Care-Arbeit. Diese ermöglicht, dass die Arbeitskraft der Lohnabhängigen erhalten bleibt und es zudem Nachkommen an Lohnabhängigen gibt, ohne dass die Kosten dafür zu hoch werden. Die Rolle von Frauen im kapitalistischen Patriarchat ist daher, diese unbezahlte Reproduktionsarbeit zu stemmen. Materialistische Feminist*innen würden noch weiter gehen und die zentrale Bedeutung dieser unbezahlten Arbeit betonen. Laut der Philosophin Silvia Federici ist sie so wichtig für den Erhalt des Kapitalismus, dass eine Entlohnung von Hausarbeit zum Systemzusammenbruch führen würde. Delphy sprach in Bezug auf Care-Arbeit gar von einer eigenen Produktionsweise und sah in verheirateten hetero Männern eine eigene Ausbeuterklasse.

Das teilen nicht alle materialistischen Feminist*innen, doch sie eint die intensive Beschäftigung sowohl mit Ausbeutung durch Lohnarbeit als auch im Haushalt. Beides hänge zusammen und bringe für das heutige Patriarchat zentrale Vorstellungen hervor, wie die der heteronormativen Kleinfamilie.

Wenn liberale Feminist*innen Harris’ Niederlage vor allem als Konsequenz einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft sehen, dann folgt das der Logik, dass Ideen Verhältnisse schaffen. Für materialistische Feminist*innen stünde etwas anderes im Vordergrund. Einige würden sagen: Harris und Walz vertraten zwar gesellschaftlich progressive Themen, wenn es aber um die materiellen Bedürfnisse von Menschen ging (Lohn, Lebenshaltungskosten etc.), war für die arbeitende Klasse keine Besserung in Sicht. Es geht eben nicht bloß um die eine Schwarze Frau, die es in die Chefetage schafft. Es geht um nichts Geringeres als die Befreiung aller. 

Dieser Text erschien zuerst in Missy 01/25.