© Stella Richter

Mein Vater hatte die Angewohnheit, alles Beschriebene und Gedruckte aufzuheben. Ab- und Zusagen für Jobs in den 1980er-Jahren, Dokumente aus seinem Asylverfahren, Briefe und Geburtstagskarten, Recherchematerialien, aber auch Zeitungsartikel, die er als wichtig genug für seine Sammlung befunden hatte und später sogar aus dem Internet ausdruckte. Alles verschwand in mehr oder weniger sinnvoll beschrifteten Aktenordnern in dem unscheinbaren Schrank hinter seiner Schlafzimmertür. 

Um seinen zehnten Todestag herum verkündet mein jüngerer Bruder fast feierlich, dass er es endlich geschafft habe: „Ich habe Babas Schrank aufgeräumt.“ In brandneuen Folien, Ordnern und Boxen,

ordentlich beschriftet, hat er bedeutsame Dokumente und Fotos ein- und alles andere aussortiert. 

Beim Öffnen einer Box fallen mir die letzten losen Papiere in die Hände. Auf dem vergilbten Papier erkenne ich seine Handschrift. 

میں پاکستان کی اس نسل سے متعلق ہوں جس کی عمر اپنے ملک کی عمر جتنی ہے ۔

„Ich gehörte zu der Generation, die so alt ist wie Pakistan selbst“, beginnt der 16-seitige Text. Schon auf der ersten Seite stolpere ich über Wörter, werde ungeduldig, wenn sich mir die Buchstaben nicht sofort erschließen – vielleicht auch, weil ich einige Begriffe, die in meinem Alltag nicht vorkommen, nicht kenne. 

Die Wörter sind ordentlich aneinandergereiht, aber ich habe keine Übung darin, handschriftlich geschriebenes Urdu zu lesen. In zehn Minuten habe ich zwei Seiten geschafft. Es geht um die Militärdiktatur, die er als Kind miterlebt hat, um einen Kaschmir-Krieg, um seine Schulzeit. Ich nehme mein Handy…