© Camille Soulat

Es wird dauern, dem Himmel, der mal unserer war, wieder zu trauen“, schreibt die libanesisch-armenische Autorin Perla Kantarjian in einem ihrer Gedichte, nachdem im November 2024 eine Waffenruhe zwischen der Hizbollah-Miliz und Israel verkündet wurde. „Kirchenglocken bedeuten nicht mehr Gottesdienst, sie heißen jetzt: Renn. Renn so schnell du kannst. Es ist unsere neue Normalität, sprachlos zu leben.“ Selbst in Zeiten, in denen Menschen teilweise in ihre Häuser zurückkehren und auf einen anhaltenden Frieden hoffen – an so etwas wie Normalität ist nicht zu denken. 

Diese neue Realität im Libanon bedeutet, dass der Krieg, der im September 2024 eskalierte, laut libanesischem Gesundheitsministerium über 4000 Menschen das Leben gekostet, mehr als 16.000 verletzt und über eine Million Menschen vertrieben hat (Stand: 4. Dezember 2024). Menschen mussten dabei zusehen, wie nicht nur ihre Wohngebäude, Schulen, Krankenhäuser, die Strom- und

Wasserversorgung, sondern auch ihre Zukunft zerstört wurde. 

„Wir erleben einen Zustand nicht endenden Traumas“, sagt die Psychologin Mia Atoui von der Mental-Health-Organisation Embrace. Denn nach dem finanziellen Kollaps 2019, der Corona-Pandemie, der Explosion am Hafen von Beirut im Jahr 2020 und dem folgenden politischen Stillstand erlebt der Libanon nun auch noch die schwerste humanitäre Krise seit Jahrzehnten. In dieser neuen Realität ist der Bedarf an lebensnotwendigen Gütern, Unterkünften und medizinischer Versorgung um ein Vielfaches größer, als ihn die bisherigen Mittel decken könnten. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt inzwischen unter der Armutsgrenze.

„Der Libanon ist zurzeit kein funktionierender Staat“, erzählt Dara Foi’Elle, die für die NGO Migrant Workers Action arbeitet, am Telefon. „Das heißt, dass er nicht für die eigene Bevölkerung sorgen kann.“ Seit über zwei Jahren ist die Regierung übergangsweise im Amt, ebenso lang ist das Land ohne Präsidenten. Wie…