Ein Tag ohne Frauen
Strike © Rise and Shine Cinema

Ein Tag ohne Frauen
Was passiert, wenn fast alle Frauen eines ganzen Landes am selben Tag streiken, also ihre Arbeit, sei es im Betrieb oder zu Hause, ruhen lassen? Und stattdessen für gleiche Bezahlung und Rechte auf die Straße gehen? Weltweit sorgte das, was am 24. Oktober 1975 passierte, für Schlagzeilen. In Island, dem Land mit der heute größten Geschlechtergerechtigkeit, kam dieses Happening einer Revolution gleich. Regisseurin Pamela Hogan widmet sich in ihrem Dokumentarfilm der damaligen Ausgangslage und berichtet von den Vorbereitungen auf den Streik. Die Aktivistinnen von damals, größenteils aus der Frauenbewegung Rote Strümpfe, erzählen mit leuchtenden Augen, wie sie sich organisierten, um sowohl möglichst alle Frauen im Land als auch die maximale Öffentlichkeit zu erreichen. Ihre wichtigsten Werkzeuge zur Entlarvung männlicher Angst vor einer „Entmachtung“ waren Kreativität, ein scharfer Blick und Humor. Hrafnhildur Gunnarsdóttir, die Produzentin des Films, 1975 elf Jahre alt, ist bekannt für Frauenthemen. Ihre Mutter, die in der Doku auch zu Wort kommt, gehörte den Aktivistinnen an. Das Archivmaterial und die Stimmen der beteiligten Frauen werden auf charmante Art durch gemalte Trickfilmsequenzen von Joel Orloff verbunden. Der Film ist ein wundervoll aufklärendes und unterhaltsames Dokument gelungenen Empowerments und der Wirksamkeit von Protest. Imke Staats

„Ein Tag ohne Frauen“ ISL/USA 2024 ( Regie: Pamela Hogan. 71 Min. )

Mond
© Grandfilm Ulrich Seidl Filmproduktion

Mond
Kampfsportlerin Sarah (Florentina Holzinger) nimmt einen ungewöhnlichen Auftrag als Personal Coach an. In Jordanien soll sie die Töchter einer wohlhabenden Familie im hauseigenen Sportraum trainieren. Dort angekommen stellt sie fest, dass die jungen Frauen engmaschig überwacht werden. Von der Außenwelt abgeschottet, von Langeweile gemartert, beim Shoppen einen Bodyguard im Schlepptau. Das palast­artige Haus ist im wahrsten Sinne unheimlich, der Kulturclash heftig. Die spröde Hauptfigur Sarah wirkt verletzlich in einer abweisenden Welt voller Verbote. Bald gerät sie ins Fadenkreuz der mächtigen Bewacher. An der Bar ihres schicken Hotels beißt sie auf Granit, als sie versucht, den Kellner über ihren Arbeitgeber und seine Motive hinter dem Auftrag auszuhorchen. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Nicht nur die misogyne Fratze des islamistischen Sittenkodex steht im Zentrum des Plots, die Erzählung nimmt auch die patriarchalen Konventionen in Sarahs Herkunftsblase aufs Korn. Denn ihre Freundinnen in Wien unterwerfen sich freiwillig verqueren Schönheitsidealen oder der totalen Selbstaufgabe in zweifelhaftem Mutterglück. Die kurdisch-österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub gilt als Shootingstar des österreichischen Kinos. Mit der Choreografin und Performancekünstlerin Florentina Holzinger im Cast hat sie eine charismatische Partnerin für ihren unkonventionellen, kraftvollen Thriller gefunden. Anna Opel

„Mond“ AT 2024 ( Regie: Kurdwin Ayub. Mit Florentina ­Holzinger, Andria Tayeh, Celina Sarhan, Nagham Abu Baker u. a., 92 Min., Start: 27.03. ) 

Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute
© Salzgeber & Co. Medien GmbH

Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute
Rund 45 Jahre ist es her, dass Frontsängerin Martina Weith zusammen mit drei weiteren Frauen die Punkband Östro 430 in Düsseldorf gründete. Eine Zeit, in der der Punk den deutschsprachigen Raum eroberte, der dürstenden Jugend eine Stimme gab und die konservative Elterngeneration in Schrecken versetzte. Im Dokumentarfilm „Einfach machen!“ werden Östro 430 nun neben Mania D (später Malaria!) aus Berlin und Kleenex (später LiLiPUT) aus Zürich porträtiert. Alles mit Frauen besetzte Punkbands, die etwas gemeinsam haben: Sie machen, was sie wollen – und das schon seit jeher. Nacheinander erzählen die Bandmitglieder, wie sie immer wieder ihre Existenz in der patriarchalen Gesellschaft und im Punk selbst verteidigen mussten, da dieser männerdominiert und kaum feministisch war. Heute bespielen einige von ihnen wieder Bühnen. Der Schweizer Regisseur Reto Caduff skizziert mit längeren Songeinspielungen sowie historischem Bild- und Filmmaterial die späten 1970er- und 1980er- sowie die 2020er-Jahre, wobei er – anders, als es der Titel vorgibt – die Jahrzehnte dazwischen auslässt. Durch die starke Trennung von damals und heute schafft Caduff einen nostalgischen und partiellen Rückblick. Inhaltlich bleibt die Erzählung an den Biografien der Protagonistinnen hängen, ohne diese in die größere Punkbewegung einzuordnen. Sofia Paule

„Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute“ DE/CH 2024 ( Regie: Reto Caduff. 89 Min., Start: 01.05. ) 

Ich will alles. Hildegard Knef Filmstill
© Privatarchiv Hildegard Knef, Virginia (Alicia Vikander)

Ich will alles. Hildegard Knef
Mit einem breit strahlenden Lächeln tritt die Knef in einem bodenlangen Paillettenkleid auf die Bühne. Selbstbewusst und stolz schaut sie in die Menge. Ihr Blick sagt: Hier passiert gleich etwas, wovon ihr noch euren Enkelkindern erzählen werdet. Mit diesen Aufnahmen beginnt Luzia Schmid ihren Dokumentarfilm, in dem wir die Grande Dame des Chansons von all ihren Seiten kennenlernen. Schmid zeichnet ein Leben nach, das zwischen Nazideutschland und Wirtschaftswunder rangiert. Eine Karriere voller Höhen und Tiefen breitet sich aus, erzählt durch die reichlich vorliegenden Archivaufnahmen. In diesen wird deutlich: Ruhm will gefüttert werden und Hildegard Knef ist bereit, auch ihr letztes Brot zu teilen – zum Preis ihres Privatlebens und insbesondere in den 1940er-Jahren auch ihrer Integrität. Ergänzt durch Einordnungen von ihrer Tochter und ihrem dritten und letzten Ehemann reihen sich zahlreiche Interviews mit der Schauspielerin und Chansonlegende aneinander. Es ist auffällig, dass sie in all diesen Beiträgen von Männern über ihr Leben, ihre Beziehungen und ihren Körper ausgefragt wird. Doch mit ihrem entschlossenen Blick begegnet sie auch der frechsten Frage mit einer unerschütterlichen Ehrlichkeit. Knefs Glamour zum Trotz zeigt dieser Film ein ausgeglichenes Porträt, das nicht zur einfachen Legendenbildung beiträgt, sondern mit scharfsinniger Komposition auch an dem glänzenden Podest der Ikone kratzt. Rosalie Ernst

„Ich will alles. Hildegard Knef“ DE 2025 ( Regie: Luzia Schmid. 98 Min., Start: 03.04. )

The Assessment
© capelight pictures

The Assessment
In einer nahen Zukunft ist die Erde unbewohnbar. Die Menschen haben sich daher eine neue Welt erschaffen, die vor den Widrigkeiten der alten Welt geschützt ist. Sie nehmen Senoxidin ein, ein Medikament, das den Alterungsprozess stoppt – und die Fortpflanzungsfähigkeit. Kinder auf natürlichem Wege zu bekommen, ist staatlich untersagt. Mia (Elizabeth Olsen) und ihr Ehemann Aaryan (Himesh Patel) machen mit bei einem strengen Verfahren, das Voraussetzung dafür ist, doch ein Kind zu bekommen. Dazu weicht ihnen die Gutachterin Virginia (Alicia Vikander) eine Woche lang nicht von der Seite und unterzieht sie allerhand „Tests“. Diese Prüfungen sind nicht nur demütigend und gefährlich, sondern lassen das Ehepaar auch an der Kompetenz ihrer Gutachterin und der Sinnhaftigkeit des Verfahrens zweifeln. Nachdem sie den Prozess hinter sich gebracht haben, macht sich Mia auf den Weg, um Antworten von Virginia zu bekommen. Und deren Figur durchläuft eine interessante Entwicklung. Der Film „The Assessment“ wirft die Frage auf, ob das Leben in einer neuen, optimierten Welt mit all ihrer staatlichen Kontrolle wirklich lebens- und erstrebenswerter ist als das in der alten. Regisseurin Fleur Fortuné erzählt eine groteske Geschichte, die eine raffinierte Wendung nimmt. Ein Thriller, der auch gut Science-Fiction à la „Black Mirror“ sein könnte. Katrin Börsch

„The Assessment“ UK/DE/US 2024 ( Regie: Fleur Fortuné. Mit Elizabeth Olsen, Himesh Patel, Alicia Vikander u. a., 114 Min., Start: 03.04. )

Wo/men
© Filmkantine, Alfred Nrecaj

Wo/men
„Warum sind Männer und Frauen nicht gleichwertig?“ „Weil es das Konzept ist.“ Diese zwei Sätze fassen den Dreh- und Angelpunkt der Dokumentation „Wo/men“ von Kristine Nrecaj und Birthe Templin präzise zusammen. Wir begleiten sechs der letzten sogenannten Burrneshas aus Albanien, die uns Einblicke in ihren Alltag als Frauen, die als Männer leben, liefern. So unterschiedlich die Protagonistinnen auch sind, es eint sie das Versprechen, lebenslang das Zölibat einzuhalten, für das sie im Gegenzug männliche Privilegien erhalten. Dadurch können bzw. konnten sie dem für Frauen immer noch vorgegebenen Weg von Ehe, Kindern und oft auch Gewalt entgehen und autonom und in Freiheit leben. Sie erfahren Schutz vor Übergriffen, arbeiten und werden als ebenbürtig angesehen. In eindrücklichen Aufnahmen beobachten wir sowohl ein Aufrechterhalten als auch ein Durchbrechen patriarchaler Strukturen, wir erfahren vom Abwägen der Lebensmöglichkeiten in einer Gesellschaft, die wenig Wahl und (immer noch) keine komplette Gleichstellung zulässt. Wir sehen Stolz, Zusammenhalt, Auf- und Ausbruch, aber auch Trauer, Verlust und Einsamkeit. „Wo/men“ will kein Urteil über die gewählten Wege geben, sondern bietet an, zuzuhören und vor allem die eigenen Privilegien zu überdenken. Avan Weis

„Wo/men“ DE 2024 ( Regie: Kristine Nrecaj & Birthe Templin. 84 Min. ) 

The Last Showgirl
© Constantin Film

The Last Showgirl
Es glitzert immer ein bisschen, wenn Shelly (Pamela Anderson) sich bewegt. Beim Kaffeetrinken, Telefonieren. Wenn sie vorm Fernseher sitzt und sich Filmklassiker ansieht, mittanzt. Es glitzert in ihrem müden Gesicht, wenn sie hektisch an ihrer Zigarette zieht. So manch ein Partikel schimmert wohl schon seit Jahren auf ihrer Haut. In Las Vegas keine Seltenheit. Wo auch sonst, wenn nicht hier? Shelly ist genau da, wo sie sein will. Das Scheinwerferlicht, der Jubel, die Blicke. Seit dreißig Jahren strahlt sie als das Gesicht der „Razzle Dazzle Show“ mit ihrem Paillettenkostüm um die Wette. Erst durch das unerwartete Ende der Show wird der Ende fünfzigjährigen Shelly schmerzlich vor Augen geführt, dass nicht nur ihre Tanzperformance, sondern auch sie in die Jahre gekommen ist. Die Basis all ihres Seins, die Essenz, aus der Shelly Kraft schöpft, ist für viele nunmehr reine Nostalgie. Sie scheint den Ansprüchen des Patriarchats nicht länger zu genügen. Brutal wird Shelly aus ihrer Traumwelt gerissen, rein in die Realität. In der sie sich mit der zerrütteten Beziehung zu ihrer erwachsenen Tochter (Billie Lourd) und so manch anderen Schatten der Vergangenheit konfrontiert sieht. „The Last Showgirl“ ist ein Film voller Kontraste, der durch Fisheye-Effekt und eine ungeschminkte Pamela Anderson nicht nur unsere Betrachtungsweise hinterfragt, sondern auch unser konventionelles Verständnis von Familie bzw. der Rolle und Aufgabe einer Mutter. Leonie Claire Recksiek

„The Last Showgirl“ USA 2024 ( Regie: Gia Coppola. Mit Pamela Anderson, Dave Bautista, Jamie Lee Curtis, Kiernan Shipka, Brenda Song, Billie Lourd u. a., 86 Min., Start: 20.03. )

Filmstill Balconettes
© 2024 PROGRESS Filmverleih NORD OUEST FILMS FRANCE 2 CINÉMA

Balconettes
Eine Hitzewelle hat Marseille fest im Griff. Nicole (Sanda Codreanu) beobachtet vom Balkon aus ihren Nachbarn, der ihr mysteriös und anziehend erscheint, und sie beginnt, dieses Motiv in ihren Romanentwurf zu flechten. Ihre Mitbewohnerin Ruby (Souheila Yacoub) ist Cam-Girl und – anders als Nicole – mutig, laut und selbstbewusst. Als Élise (Noémie Merlant), eine Freundin der beiden, aus Paris eintrifft, um Abstand zu ihrem Freund zu gewinnen, beschädigt sie versehentlich das Auto des geheimnisvollen Nachbarn, wodurch zwischen ihm und den drei Frauen Kontakt entsteht. „Balconettes“ tritt als schwarze Komödie auf und schlägt drastische Haken auf der breiten Spanne dieses Begriffs. Der dynamisch fotografierte Film findet einige Radikalität darin, repressive Geschlechterverhältnisse unter der Hitzeglocke des Sommers überkochen zu lassen. Regisseurin und Schauspielerin Noémie Merlant versteht es dabei gut, Angst und Euphorie fast gleichzeitig zu erzählen. Der wahre Charakter des Nachbarn ist nur die erste von vielen scharfen Wendungen, die der Film vollzieht und die teilweise die Gefilde des Horrorfilms betreten. Bei seinem Versuch, als Trip durch die Extreme von Lust, Missbrauch und Freundinnenschaft unterhaltsam zu bleiben, gleitet „Balconettes“ manchmal etwas ins Werbefilmartige ab, ist aber stets mitreißend, kurzweilig und aufrichtig. Linus Misera

„Balconettes“ FR 2024 ( Regie: Noémie Merlant. Mit Souheila Yacoub, Sanda Codreanu, Noémie Merlant, Lucas Bravo u. a., 104 Min., Start: 08.05. )

Diese Texte erschienen zuerst in Missy 02/25.